40 Das Denishe Reicz und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.)
Sie denn nun wirklich, daß ein Lehrer an einer einklassigen Schule, den der
Geistliche für unfähig zur Ausübung des Religionsunterrichts erklärt hat —
daß dieser Lehrer, wenn er beim Regierungspräsidenten Recht bekommt und
nun versuchen will, seine Religionsthätigkeit an der Schule wieder auf Grund
dieser Verfügung des Regierungspräsidenten gegen den Pfarrer auszuüben,
wie die Verhältnisse im Lande liegen, wie die Herrschaft des Geistlichen über
die Schulen im allgemeinen durch diesen Entwurf festgestellt wird, seines
Amtes noch walten könnte? Das ist geradezu eine Unmöglichkeit, das ist nach
den Erfahrungen, die wir im Kulturkampfe nach der Preisgebung der Staats-
pfarrer seitens des Staates gemacht haben, ganz undurchführbar. Die „Staats-
lehrer“ werden dann genau ebenso preisgegeben werden, wie die Staatspfarrer
seiner Zeit preisgegeben worden sind. Diese Bestimmung führt die Herr-
lüne des Priesters über die Schulen auf das Vollständigste, auf das Unerbitt-
ichste ein.
Meine Herren, der Herr Abgeordnete Stoecker ist ganz konsequent
nach dem Regierungsentwurf, wenn er sagt, der ganze Unterricht müsse kon-
fessionell gestaltet werden. Er hat ja in seiner vorgestrigen Rede auch aus-
geführt, daß es auch eine konfessionelle Geographie gäbe, die konfessionell ge-
lehrt werden müsse. Meine Herren, es ist keine Frage, daß, wenn dieser
Gesetzentwurf durchgeführt wird, durch die Hervorhebung der Konfessionalität
der ganze Unterricht konfessionell auf allen Gebieten durchtränkt werden wird,
namentlich auf dem Gebiete der Geschichte. Es ist ja kein Hindernis, daß
die großen Gegensätze, die zwischen den beiden großen Religionsgemein-
schaften bestehen, nur den Gegenstand des Unterrichts in den verschiedenen
Schulen bilden, sobald die feste Staatsaufsicht das nicht mehr hindert. Sie
kann das nicht mehr hindern, wenn dieser Entwurf Gesetz wird. Ich für
meine Person will nun nicht, daß im preußischen Staate unter staatlicher
Autorität der Lehrer mit Absetzung bedroht werden kann durch einen Geist-
lichen, wenn eine Zeit des Kampfes zwischen Staat und Kirche wieder-
gekommen ist oder zwischen der katholischen und der protestantischen Kirche
— ich will nicht, daß in den preußischen Volksschulen unter der Autorität
des preußischen Staates gelehrt werden kann, daß Luther ein Schuft und
ein von Gewissenangst gequälter Selbstmörder gewesen sei, und daß die pro-
testantische Lehre die Nährmutter der grobsinnlichen Lehre der Sozial-
demokratie gewesen ist.
Und nun weiter! Trotzdem, meine Herren, die Lehrer, so wie sie
angestellt sind, die Rechte und Pflichten von Staatsbeamten haben, so werden
sie an der Ausübung dieser Pflichten als Staatsbeamten durch eine Ein-
wirkung einer außerhalb der Staatsautorität bestehenden Macht gehindert
werden können; sie können von ihrem Amt beseitigt werden durch das Urteil
von Personen, welche nicht nach den Interessen des Staates, sondern nach
ganz anderen Einwirkungen entscheiden. Meine Herren, das ist bisher in
dem Staatsbeamtentum noch nicht üblich gewesen, daß ein Priester für be-
stimmte Zweige der Staatsthätigkeit die Arbeit aufheben kann. Meines Er-
achtens ist diese Bestimmung eine wesentliche Abänderung des Artikels 47
der Verfassung. Sie greift ausdrücklich meines Erachtens in die Kronrechte
ein. Der Artikel 47 der Verfassung besagt: „Der König besetzt alle Stellen
im Heere, sowie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes, sofern nicht
das Gesetz ein anderes anordnet.“ Wie kann nach dem Urteil einer außer-
halb des Staates wirkenden Macht die Ausübung des Staatsdienstes durch
Personen gehindert werden, welche die Oualifikation zur Ausübung dieses
Dienstes haben. Meine Herren, ich glaube, daß es doch wohl richtig ist:
wir sind die Vertheidiger der Kronrechte, und als monarchisch gesinnte Par-
teien haben wir das volle Recht und die volle Pflicht, eine Schädigung dieser