10 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 22.)
wenn sie auf Grund ihrer Forschungen dazu kommen, die Existenz des drei-
einigen Gottes zu leugnen. Ueber den Umfang dieser antichristlichen Ge-
sinnung auf den Universitäten habe ich nicht gesprochen. Wenn ein Dozent
in einem wissenschaftlichen Buche ausführen kann, daß die Christianisierung
der Germanen und Franken der Moral dieser VBölker nachteilig gewesen
sei, welchen Eindruck muß das auf gläubige Zuhörer machen: In Bonn
hat ein Professor gesagt, daß auch für das Christentum der Monotheismus
gelten müsse. Ein anderer liberaler Professor behauptet sogar, daß die
Schöpfungsgeschichte, der Sündenfall u. s. w. nicht zu glauben seien, da
diese Dinge der Wissenschaft widersprechen. Sogar der Geh. Rat Wiese hat
in seinen Lebenserinnerungen zu der Frage des Apostolikums eine unent-
schiedene Stellung eingenommen. Und doch klagt auch Wiese über den Un-
glauben der Gymnasialdirektoren und Lehrer. Vorläufig liegt in diesem
Unglauben noch keine Gefahr für das Staatsleben, aber wie wird das erst
werden, wenn die Sozialdemokratie mehr Eingang findet? Die Sozial-
demokraten stützen sich auf die Forschungsergebnisse von Feuerbach, Strauß
und Renan. In den antichristlichen Verbindungen, wie den Vereinen für
ethische Kultur, spielen darwinistische Professoren und Sozialdemokraten
nebeneinander die Hauptrollen. Ich will nach keiner Richtung hin die
Freiheit der Wissenschaft bekämpfen, aber ich will, daß die Regierung ebenso
wie dem Unglauben Raum gegeben wird, auch für die Gläubigen in aus-
reichendem Maße sorgt.
22. Februar. Bei der Nachwahl in Olpe (für den verstorbenen
Abg. Reichensperger) wird gegen den offiziellen Kandidaten des
Zentrums der ultramontane Redakteur Fusangel in Bochum auf-
gestellt. Gegen diesen ergeht folgende Erklärung:
„Die Vorstände des Zentrums im deutschen Reichstag und im preußi-
schen Haus der Abgeordneten können nicht dazu schweigen, daß ein Kan-
didat fürs Zentrum Gegensätze, welche den politischen Absichten und Wün-
schen der Widersacher rechts und links willkommen wären, als ausgemachte
Sache hinnimmt und einen linken von einem rechten Flügel der Partei
hier draußen unterscheidet; sie dürfen dem Aufkommen von Kandidaturen
eines sogenannten rechten oder eines sogenannten linken Flügels der Partei,
an Stelle des Zentrums schlechtweg, nicht unthätig zusehen. Vielmehr
müßten dieselben, zumal inzwischen seitens eines Vereins in Fredeburg die
Aeußerung der Fraktion im Drahtwege verlangt ist, im Einvernehmen mit
beiden Fraktionen hiermit aufs Bestimmteste erklären:
Wir lehnen die Unterscheidung zwischen einem sogenannten rechten
und einem sogenannten linken Flügel des Zentrums, sowohl für das Land,
als für den Reichstag und den Landtag ab.
Wer eine andere Stellung nimmt, tritt damit außerhalb des Zentrums
und kann als Kandidat des Zentrums unsererseits nicht anerkannt werden.“
22. Februar. Der Kaiser empfängt in Gegenwart des Präsi-
denten des Staats-Ministeriums und des Ministers für Landwirt-
schaft eine Abordnung der landwirtschaftlichen Zentralvereine
der östlichen Provinzen, welche beauftragt war, mittelst einer Denk-
schrift die Wünsche der Landwirtschaft zur Kenntnis zu bringen und
um deren Förderung zu bitten. v. Below-Saleske überreicht die
Denkschrift mit nachstehender Ansprache: