78 Vas Dentsche Reith und seine einzelnen Glieder. (Juli Anf.)
schlagen werden. Man kann also sozusagen für den Notfall, der wahr-
scheinlich der gefährlichste, wenn nicht der entscheidende Augenblick des Kon-
fliktes sein wird, eine Million Soldaten brauchen. Mehr kann man gar
nicht brauchen, ausgenommen als Reserven oder für künftige Schlachten, die
entweder geschlagen oder auch nicht geschlagen werden können. Aber man
hat schon drei Millionen! Wozu braucht man noch weitere achtzigtausend?
Nein, was der Armee Not thut, ist mehr Artillerie. Wir gewannen unseren
letzten Krieg mit Frankreich durch die Artillerie. Die beste Artillerie wird
auch den nächsten Krieg gewinnen, und zwar noch gewisser. So sehr haben
sich die Dedingungen der Kriegführung geändert, daß die beste Infanterie
durch sich selbst ebensowenig eine Schlacht gewinnen kann, wie es die
Kavallerie im stande wäre. Aber in dieser Waffe sind wir — obwohl noch
immer Frankreich gegenüber überlegen — doch nicht in demselben Maße
überlegen, wie wir es 1870 waren. Die Gewißheit des Sieges hängt davon
ab, daß wir nicht bloß die Ueberlegenheit, sondern eine beträchtliche Ueber-
legenheit uns bewahren. Das ist's, was eine kluge Gesetzvorlage anzustreben
hätte. Aber das ist keine kluge Vorlage, noch sind die Urheber derselben
klug.. Die Regierung ist schwächlich und kurzsichtig. Sie macht einen
Mißgriff nach dem andern. Sie hat günstige Positionen und Vorteile ver-
schleudert und schien sich nicht im mindesten bewußt zu sein, was zu gleicher
Zeit vorgeht. Gerade als der Bedarf von Geld voraussichtlich war, schnitt
sie sich eine reiche Einnahmsquelle durch ihre neuen Handelsverträge ab.
Niemand hatte diese Einnahmen bekämpft, sie wurden weder als eine Be-
schwerde noch als eine Last empfunden und brachten fünfzig Millionen ein.
Nun hoffen sie die Heeresvorlage, die Bedeckung und alles durchzusetzen,
indem sie das Land bedrohen, das Volk einschüchtern und Krieg, Verderben
und die Niederlage der Armee prophezeien, wenn dieselbe nicht gerade so
vermehrt wird, wie sie es verlangen. Das alles hat eine schlechte Wirkung
auf die Gemüter des Volkes und besonders auf die Soldaten, wenn diese
es glauben —-es entmutigt sie und macht sie an sich selbst zweifeln. Der
Umstand, daß die Regierung die Sozialisten als eine politische Partei be-
handelt, als eine Macht im Lande, die man ernsthaft behandeln und mit
der man rechnen muß, statt als Räuber und Diebe, die zermalmt werden
müssen — das hat ihre Kraft und Bedeutung in hohem Grade gesteigert,
ebenso wie die Beachtung, die man ihnen schenkt. Ich hätte das nie ge-
stattet. Sie sind die Ratten im Lande und sollten vertilgt werden.“ Auch
über das sozial-politische Experiment des Kaisers äußerte sich Bismarck sehr
unmutig und bemerkte unter anderm: „Ich habe den Kaiser davor gewarnt.
Meine Warnung wurde aber verworfen. Ich hoffte, der Kaiser werde er-
kennen, welche Aufnahme seine eigenen Ideen bei jenen finden, deren Wohl
er anstrebte und an die er sich wendete. Nichts von alledem, der Kaiser
hat das nicht beachtet. Ich behielt Unrecht — ich war enttäuscht. Das
Ganze führte zu nichts.“ Mr. Smalley fragte den Fürsten, ob die Sozia-
listen ihre Agitation in ausgedehnterem Maße in die deutsche Armee ge-
tragen haben, wie dies in England und namentlich in London der Fall
sei, wo sich Sozialisten eigens zu diesem Zwecke anwerben lassen. Bismarck
glaubte nicht, daß dies in Berlin der Fall sei. „Die Berliner Garnison
wird aus dem ganzen Reiche zusammengesetzt. Die Leute aus Köln haben
wenig Sympathien für die Pommern, und die Bayern und Sachsen frater-
nisieren nicht in solchen Dingen. Wenn eine Gefahr vorhanden ist, so könnte
das z. B. in Hamburg der Fall sein, wo die Sozialisten sehr stark sind,
und ein Hamburger Regiment könnte durch den Sozialismus vergiftet
werden.“ Zum Schlusse dieser Erörterungen wiederholte Bismarck seinen
schon oft gemachten Ausspruch, die Aufgabe einer Negierung sei, zu regieren.