Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

86 Das Beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 8.) 
schlimmern, es wäre das gerade so, als wenn fremde Völker oder fremde 
Staaten sich erlauben würden, in innere deutsche Verhältnisse hineinzureden. 
Wie wir uns das verbitten würden, verbitten sich das andere auch, und 
daß das Deutsche Reich deswegen keinen Krieg führen wird, das ist bei der 
friedlichen Gesinnung, ich glaube, ich kann sagen, aller im Reiche selbstver- 
ständlich. Der Irredentismus, der ist uns allen fern; was wir wünschen 
und was wir wollen, ist das, daß es den Deutschen außerhalb des Reiches 
recht gut gehe und daß sie ihr Deutschtum erhalten. (Bravol) Wir wün- 
schen, daß sie sich als gute Unterthanen ihrer Monarchen, als gute Bürger 
ihrer Staaten fühlen möchten und bleiben möchten, so wie sie es bis jetzt 
immer waren. (Bravol) Ich schließe, indem ich damit aufhöre, womit ich 
begonnen habe, indem ich wünsche, daß der deutsche Schriftsteller= und Jour- 
nalistentag die Beschlüsse, welche der Ausschuß vorgeschlagen hat und die 
dafür bestimmt sind, ein sorgenfreies Alter denselben zu bereiten, annehmen 
werde, daß der deutsche Schriftstellertag zu Gunsten dieses soweit verbreiteten 
und einflußreichen Standes ausfallen möge. Gebe Gott, daß es so sein 
werde!“ (Stürmischer Beifall und Händeklatschen.) Die Rede machte all- 
gemein einen tiefen Eindruck. 
8. Juli. Huldigung von Bewohnern des Fürstentums Lippe 
beim Fürsten Bismarck. Der Fürst hält folgende Rede: 
Meine Herren, ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Begrüßung, 
die von Herzen kommt, und dafür, daß Sie den weiten staubigen und heißen 
Weg nicht gescheut haben, um mir Ihre Gefühle persönlich zum Ausdruck 
zu bringen, um so mehr als Ihr Gruß von der Stelle kommt, welche die 
alteste Malstätte der deutsch-nationalen Entwickelung ist gegenüber der Fremd- 
herrschaft — der Fremdherrschaft, ich möchte damit sagen nicht nur der 
äußeren Eroberung, sondern auch der Zerrüttung des inneren nationalen 
Lebens. Dieser ist damals ein fester Damm entgegengesetzt und das Land 
bis an den Rhein gesäubert worden nicht allein von den ausländischen 
Präfekten, sondern auch von den römischen Büreaukraten. Wer die da- 
malige deutsche Geschichte studiert, der wird finden, wie gerade das Ein- 
dringen römischen Wesens in das Familienleben, das Eindringen römischen 
Rechts in private Verhältnisse unsere Vorfahren so erbittert hatte, daß sie 
einig wurden, wozu schon damals viel gehörte, und die römische Büreau= 
kratie zum Lande hinauswarfen. 
Es ist mir eine besondere Genugthuung, daß Sie von dort gekommen 
sind, wo dies geschah. Die Gelehrten streiten ja über den Platz, aber die 
Volksmeinung ist darüber einig, daß es der Teutoburger Wald war. Einer 
Ihrer Landsleute hat mir vor einigen Monaten einen recht schweren Boten 
von da hergesandt, einen Fels von der Grotenburg. Dementsprechend fasse 
ich Ihre Begrüßung auf als von der dortigen Malstatt des Teutoburger 
Waldes kommend, aus einem stets ungemischt gebliebenen Gebiete Deutschlands. 
Das Fürstentum Lippe gehört ja zu den kleinen Bundesstaaten des 
Reiches, aber ich möchte Sie doch bitten, die Thatsache seiner Zugehörigkeit, 
seiner Stellung zum Reiche ebensowenig zu unterschätzen, wie ich die Stel- 
lung der Kleinstaaten und ihren Nutzen für den nationalen Gedanken unter- 
schätzt habe. Ich kann meinen Gedanken dahin ausdrücken, daß zwischen 
wenigen mittelgroßen Staaten schwerer als bei den 25 jetzt bestehenden, 
unter denen 17, 18 von der Größe sind, daß sie nur eine Stimme im 
Bundesrate haben, Einigkeit zu erzielen und zu behaupten sein würde. Sie 
bilden gewissermaßen den Mörtel zwischen den Quadern; hätten wir nur 
Staaten von der Größe wie Sachsen und Bayern, so würde die heutige 
Verfassung schwerer anzuwenden sein.
	        
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