Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 7
gefährdende Angriffe sicher gestellt werden. Man hat behauptet, daß der
Ursprung des Uebels in gewissen sozialen Uebelständen beruhe, und daß
man diese wohl durch wirtschaftliche Reformen, aber nicht durch Strafgesetze
und polzeiliche Maßregeln beseitigen könne. Meine Herren, demgegenüber
kann nicht mit Nachdruck genug hervorgehoben werden, daß die Fürsorge
des Reichs für die unteren Bevölkerungsklassen und die Bekämpfung der
Umsturzbestrebungen, insbesondere der Sozialdemokratie, gar keine Be-
rührung mit einander haben. Seit Beginn des Deutschen Reichs und
namentlich seit der unvergeßlichen Botschaft des ersten Deutschen Kaisers
vom 17. November 1881 ist keine Session vorübergegangen, ohne daß die
verbündeten Regierungen gemeinsam mit dem Reichstage nach den verschie-
densten Richtungen hin das Wohl der arbeitenden Klassen zu fördern unter-
nommen haben. Kaiser Wilhelm lI. hat seine Regierung durch eine För-
derung des Abeiterschutzes auf internationalem Wege eingeleitet, und seither
sind die verbündeten Regierungen unablässig bemüht gewesen, auf den
Fundamenten des christlichen Volkslebens den niederen und weniger bemit-
telten Volksklassen ein gewisses Maß von Wohlbefinden zu sichern, sie ins-
besondere gegen Krankheit, Unfall und Invalidität zu schützen. Darin ist
Deutschland von keinem anderen Lande der Welt übertroffen worden. Dieser
Weg wird nicht verlassen werden, und die verbündeten Regierungen sind
überzeugt, daß sie auf thatkräftige Unterstützung des Reichstages werden
rechnen können. Anders aber ist es mit dem Kampf gegen die Bestrebungen
des gewaltsamen Umsturzes der bestehenden Staatsordnung. Dieser Kampf
richtet sich nicht gegen bestimmte Volksklassen oder gewisse Schichten der
Bevölkerung; es ist ein Kampf gegen das internationale und gegen das
soziale Verbrechertum, und in diesem Kampf — das ist meine feste Ueber-
zeugung — werden die verbündeten Regierungen die Zustimmung der Nation
usd die thatkräftige Mitwirkung der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses
nden.
Abg. Frohme (Soz.) wendet sich gegen Herrn v. Stumm, dem er
für seine Offenheit dankt. Er sei ein Tyrann gegen seine Arbeiter und
habe kein Verständnis für Sozialpolitik, wie auch sein Verhalten gegen
Pfarrer Naumann beweise, eine der wenigen bürgerlichen Persönlichkeiten,
die noch ein Herz für den Arbeiter hätten. Die Nationalliberalen die jetzt
so eifrig die Sozialdemokratie bekämpften, erinnert er daran, daß ihr ehe-
maliger Führer Miquel im Jahre 1864 dem Redakteur der Rheinischen
Zeitung zurief: „Sie sprechen so erregt; das ist dann am Platze, wenn wir
auf den Straßen die Massen aufrufen, um den Junkern die Köpfe einzu-
schlagen"“. Der Redner wendet sich hierauf gegen den pr. Minister des Innern,
dem er vorwirft, daß das Lockspitzeltum in Deutschland weit verbreitet sei.
Minister v. Köller weist diese Angriffe scharf zurück.
es Die Vorlage wird an eine Kommission von 28 Mitgliedern ver—
wiesen.
13. Januar. (Friedrichsruh.) Besuch des Reichskanzlers
Fürsten Hohenlohe bei Fürst Bismarck.
13. Januar. Gerüchte über die Entlassung Caprivis.
Die „Münch. Neuest. Nachr.“ behaupten, der Kaiser habe vor
der Entlassung Caprivis eine zweistündige Unterredung mit dem bayrischen
Gesandten Grafen Lerchenfeld gehabt, also sei die Entlassung nicht ohne
vorherige Verständigung mit den Bundesstaaten erfolgt. Die „Köln. Ztg.“
erklärt das für falsch; erst nach der Entlassung habe der Kaiser die Ver-
treter der größeren Bundesstaaten zur Audienz berufen und ihnen in längerem
Vortrage den Rücktritt des Reichskanzlers mitgeteilt.