Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Das Bernische Reich und seine einzeluen Glieder. (Oktober 11.—13.) 111 
nütze und in mehr als persönlicher Fühlung mit den bürgerlichen Parteien 
stehe. Quarck bezeichnet diese bereits im „Vorwärts“ erhobenen unbe- 
weisbaren Angriffe als unwürdig. Die Abgg. Bebel und Auer wenden 
sich gegen Liebknecht und Quarck. — Es wird beschlossen, daß die Redaktion 
des „Vorwärts“ zu allen wichtigen Fragen Stellung nehmen soll und 
daß die Parteiorgane keine Annoncen von boykottierten oder den Arbeitern 
feindlichen Unternehmern bringen dürfen. 
Am 14. Oktober tadelt Schwartz (Lübeck) die Haltung des Kapitäns 
Braun beim Untergang des „Iltis", der anstatt auf die Rettung der Mann- 
schaft zu denken, sie habe singen lassen. Dadurch sei der Tod so vieler 
Mannschaften verschuldet. Abg. Bebel referiert über den internationalen 
Sozialistenkongreß in London und führt aus, daß Reibereien zwischen der 
englischen sozialdemokratischen Föderation und Trades Unions einen Zwie- 
spalt in der englischen Arbeiterbewegung hervorgerufen hätten. Die langen 
Verhandlungen mit den Anarchisten hätten genötigt, die Beschlüsse über 
Hals und Kopf anzunehmen, um überhaupt etwas zu stande zu bringen. 
Abg. Liebknecht behauptet demgegenüber, daß die englischen Arbeiter mit 
dem Verlauf des Kongresses zufrieden seien. Sodann beschließt die Ver- 
sammlung aus Anlaß der Auflösung der Parteiorganisation (S. 75) Ein- 
setzung eines geschäftsführenden Ausschusses mit dem Sitze in Hamburg und 
die Leitung der politischen Angelegenheiten der Partei durch die Reichs- 
tagsfraktion. Am 16. Oktober wird eine Resolution auf wirtschaftliche und 
politische Gleichstellung der Frau mit dem Manne angenommen.— Während der 
„Borwärts“" den Parteitag eine „Geisterschlacht“ nennt, wie eine ähnliche 
in keiner andern Partei stattfinden könne, betonen nichtsozialistische Blätter, 
daß bedeutende geistige Leistungen auf dem Parteitage nicht zu Tage ge- 
treten wären. Die Debatten hätten viel mehr kleinliche persönliche Kämpfe 
gezeigt, worüber hochwichtige Gegenstände zu kurz gekommen seien. So sei 
die Agrarfrage gar nicht behandelt, weil man sich darüber nicht einigen 
könne und die Gewerkschaftsfrage sei nur kurz berührt, weil man davon 
eine Hemmung der revolutionären Agitation fürchte. Die Spaltung zwischen 
der gemäßigten und radikalen Richtung sei nicht wegzuleugnen. Ferner wird 
darauf hingewiesen, daß sich eine starke Opposition gegen die alten Führer 
geltend mache, wie die Angriffe auf Liebknecht zeigten. (Eine Berliner 
Volksversammlung lehnt Ende Oktober ein für Liebknecht als Leiter des 
„Vorwärts“ beantragtes Vertrauensvotum fast einstimmig ab.) 
11.—29. Oktober. Aufenthalt des russischen Kaiserpaares in 
Darmstadt. Am 19. besucht der deutsche Kaiser das Zarenpaar, 
das am 20. den Besuch in Wiesbaden erwidert. 
12. Oktober. (Karlsruhe.) Der Fall Brüsewitz. Die Presse 
über das Verhältnis zwischen Militär und Ziovil. 
Premierleutnant v. Brüsewitz (Regt. 109) ersticht den Mechaniker 
Siepmann, der ihn thätlich beleidigt hatte. — Der Vorgang wird in der 
Presse äußerst lebhaft besprochen; die sozialdemokratischen, freisinnigen und 
zum Teil die mittelparteilichen und Zentrumsblätter greifen den „Mörder“ 
Brüsewitz heftig an und sehen in dem Ereignis ein Zeichen militärischer 
Ueberhebung und die Folge eines falschen Ehrbegriffs, die konservativen 
und einige andere Organe führen aus, ohne die That selbst zu rechtfertigen, 
daß der Offizier thätliche Beleidigungen mit der Waffe abwehren müsse. 
13. Oktober. (Preußen.) Die Minister für Landwirtschaft,
	        
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