Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Das  Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 30.—Dez. 4) 143 
Ausgaben für die unproduktiven Zwecke wie Militär und Kolonialpolitik 
seien viel zu hoch. Redner polemisiert gegen Intriguen in der Kolonial= 
verwaltung, wegen deren Dr. Kayser und in der Militärverwaltung durch 
das Militärkabinet, wegen deren General v. Bronsart sein Amt niedergelegt 
habe. Von der Reform des Militärstrafprozesses werde auch nur ungün- 
stiges bekannt. 
Reichskanzler Dr. Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Meine 
Herren, ich habe nicht die Absicht, auf die Ausführungen des Herrn Vor- 
redners über die Organisation des Militärkabinets einzugehen. Auch kann 
ich ihm nicht auf das Gebiet der geschichtlichen Entwicklung des Militär- 
kabinets folgen. Ich will nur erklären, daß dem Reichskanzler die Ver- 
antwortung auch für die Maßregeln obliegt, welche sich auf die Verwaltung 
der Armeeangelegenheiten nach Maßgabe des Etats beziehen. Ich kann 
versichern, daß, so lange ich die Ehre habe, mich in meiner gegenwärtigen 
Stellung zu befinden, keine Maßregel getroffen ist, welche ich nicht mit 
meiner Verantwortlichkeit hätte decken können. Glaubt daher der Herr 
Vorredner Anlaß zu haben, irgend eine Anordnung seiner Kritik zu unter- 
ziehen, so überlasse ich ihm, diese Kritik allein mir gegenüber geltend zu 
machen und davon abzusehen, andere Organe, welche, wie das Militärkabinet 
Sr. Majestät des Kaisers, eine parlamentarische Verantwortlichkeit nicht zu 
tragen haben, verantwortlich zu machen. Was den seit der letzten Tagung 
eingetretenen Wechsel in der Person des königlich preußischen Kriegsmini- 
sters anlangt, so ist die Ernennung und Entlassung der Minister nach 
preußischem Verfassungsrecht ausschließlich ein Recht der Krone. Ich habe 
in meiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident keinen Anstoß ge- 
nommen, die Ordre gegenzuzeichnen, durch welche das Abschiedsgesuch des 
Ministers v. Bronsart genehmigt wurde, nachdem ich mich überzeugt hatte, 
daß der Minister nicht geneigt war, sein Gesuch zurückzuziehen. 
Am folgenden Tage erklärt Abg. v. Leipziger (kons.): Die kon- 
servative Partei wünsche eine Sozialpolitik auf Grund der kaiserlichen Bot- 
schaft von 1881, freilich nicht im Sinne der Bäckereiverordnung. Zur 
Besserung der landwirtschaftlichen Notlage sei ein neues Margarinegesetz 
dringend erforderlich. Ueber die Marineforderungen erklärt Redner: Bei 
den einmaligen Ausgaben des Marineetats findet eine ganz bedenkliche Zu- 
nahme statt. Namens meiner Freunde habe ich zu erklären, daß uns diese 
Steigerung doch mit ernsten Bedenken erfüllt. Wir legen uns zwar nicht 
wie der Abg. Richter für eine Ablehnung aller Positionen fest, aber wir 
machen unsere Entschließung von der weiteren Begründung der Forderungen 
in der Kommission abhängig und behalten uns volle Freiheit der Entschlie- 
ßung vor. Hierauf protestiert Redner gegen die Verunglimpfungen der 
Iltisbesatzung auf dem sozialdemokratischen Parteitage (S. 111). Staats- 
sekretär des Reichsmarineamts Hollmann berichtigt einige Irrtümer der 
Vorredner und verspricht weitere Begründung der Forderungen in der Budget- 
kommission. Er dankt für die Verteidigung der Iltismannschaft und führt 
aus, daß das auf einem Felsen aufgefahrene Schiff rettungslos verloren 
war. Abg. Paasche (ul.) verteidigt das vom Abg. Richter angegriffene 
Zuckersteuergesetz. Den Marineetat werden seine Freunde wohlwollend prüfen, 
ohne von vornherein alles zu bewilligen. Abg Schippel (Soz.) verteidigt 
seinen Parteigenossen Schwarz, der nur den Kommandanten des „Iltis“ 
wegen mangelnder Fürsorge für die Rettung der Mannschaft getadelt habe. 
Die geplante Schuldentilgung aus den Ueberschüssen werde scheitern, weil 
alle Überschüsse für Militär und Marine verwendet würden. Darunter 
müßten alle Kulturaufgaben leiden. Am folgenden Tage polemisiert Abg. 
v. Kardorff (RP.) gegen die Sozialpolitik auf Grund der kaiserlichen
	        
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