166 HBie GBesterreichis-Augarische Monarchie. (Juni 26.— August Mitte.)
daß die ungarische Regierung sich in völligem Einverständnis mit dem
Minister des Auswärtigen Grafen Goluchowski bezüglich der Orientfrage
befinde. Oesterreich-Ungarn beanspruche keine Vormundschaft über die
Türkei, das Prinzip der ungarischen Politik sei, daß keine fremde Macht
bezüglich der Veränderung des status qduc im Orient einseitig ein Ueber-
gewicht erlangen solle. — Auf eine Anfrage des Abg. Hollos über die
antimagyar. Agitation Luegers (S. 157) erwidert der Minister, diese Be-
wegung sei nicht ernst genug, als daß man sich an dieser Stelle mit der-
selben beschäftigen sollte. Die Agitation Luegers sei derartig, daß sie als
eine innere Angelegenheit Oesterreichs nur Gegenstand von Maßregeln der
dortigen Regierung sein könne. So sehr das Auftreten und die Sprache
dieses Mannes zu verurteilen seien, so genieße er als Mitglied des Parla-
ments und Würdenträger einer autonomen Gemeinde Redefreiheit. Den
ungarnfeindlichen österreichischen Zeitungen solle das Postdebit entzogen
werden, sobald die Regierung von der Versendung derselben amtlich Kennt-
nis erlange. Ebenso werde gegen etwa auftretende Agenten und Agitatoren
eingeschritten, die sich staatsfeindlicher Reden oder Handlungen schuldig
machen.
26. Juni. (Wien.) Das Herrenhaus genehmigt das Zucker-
steuergesetz. Hierauf wird der Reichsrat vertagt.
22./30. Juni. (Pest.) Das Abgeordnetenhaus nimmt die
Zuckersteuervorlage an (S. 165); Zustimmung im Magnatenhause
30. Juni.
29. Juni. (Prag.) Eine Vertrauensmännerversammlung
der Deutschen in Böhmen tadelt die Politik der Vereinigten
deutschen Linken im Reichsrate und beschließt die Bildung einer
oppositionellen „Deutschen Fortschrittspartei".
14. Juli. (Ischl.) Der Kaiser empfängt den deutschen
Reichskanzler Fürsten Hohenlohe.
23. Juli. (Wien.) Badeni über die sozialdemokratische
Agitation.
Eine Deputation von Industriellen überreicht dem Ministerpräsidenten
Grafen Badeni eine mit den Unterschriften von 652 Fabrikfirmen ver-
sehene, zwei dicke Bände umfassende Beschwerdeschrift über die unter der
Fabrikarbeiterschaft um sich greifende sozialistische Agitation. Die Regie-
rung wird darin aufgefordert, die sozialistischen Umtriebe zu verhindern.
Der Ministerpräsident erkennt die Berechtigung der Beschwerden an, hält
jedoch den Industriellen vor, daß sie sich zu wenig um die praktische Durch-
führung des Unfall-Versicherungsgesetzes gekümmert hätten. Er sagt der
Abordnung die eingehendste Prüfung der Beschwerde und die unnachsicht-
liche Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zu.
Mitte August. Die österreichische Politik in der kretischen
Frage (vgl. Türkei).
Das Wiener „Fremdenblatt“ betont, die Haltung Oesterreich-
Ungarns in der kretensischen Frage war durch die von dem Grafen Golu-
chowski in den Delegationen dargelegten leitenden Grundsätze der öster-