Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Frankreich. (Oktober.) 225 
für die 25jährige Arbeit, durch welche Frankreich seine militärische Macht 
reorganisiert habe. Der Kaiser schätze Frankreich, weil dasselbe stark und 
doch weise zu sein verstanden habe. 
„La Paix“: „Kaiser Nikolaus ist das lebendige Symbol der 
Allianz, welche aus Frankreich und Rußland einen souveränen Schieds- 
richter des europäischen Friedens gemacht hat.“ 
„L'Autorité“: „Der Besach des Zaren erinnere Frankreich an 
seine Vergangenheit und bereite seine Zukunft vor. Die im Elysee für den 
Kaiser errichtete Estrade sei eine Estrade des französischen Thrones, die 
Frage sei nur, ob Napoleon oder Philipp ihn zu besteigen sich entschließen 
werde." 
„Jour“: „Die französisch-russische Allianz besteht. Wenig kümmert 
es uns, den Wortlaut des Vertrages zu kennen. Die Hauptsache bleibt, 
daß das Volk überzeugt sei, daß in Zukunft kein Zweifel daran obwalten 
könne. Der Zar hat dies öffentlich proklamiert. Er ist zu uns gekommen, 
um eine Nation zu begrüßen, an welche ihn kostbare Bande knüpfen.“ 
„Rappel“: „Rußlands Freundschaft hat hoffentlich ein anderes 
Ergebnis, als die Erhaltung des abscheulichen bewaffneten Friedens. Wenn 
der Zar gut gehört hat, so weiß er, daß die leidenschaftlichen Schreie, die 
ihn drei Tage lang begleiteten, in diesen kurzen Satz, der alles sagt, zu- 
sammengefaßt werden können und müssen: „Sire, Frankreich ist bereit!“ 
„Journal“: „Der Trinkspruch des Zaren im Elysee werde selbst 
den unruhigsten Gemütern ihre Sicherheit wiedergeben.“ 
„Lanterne“: „Die Sprache des Zaren ist von einer Art, welche 
das lebhafteste Vertrauen für die Zukunft erweckt.“ 
„Matin“: „Frankreich ist keineswegs angriffslustig, beklagt aber 
immer noch im Stillen die Verluste des Jahres 1870. Aber es ist stark 
genug, von der Zukunft eine Vergeltung kraft des Bündnisses mit Rußland 
zu erwarten. Der Zar diktiert der Welt seinen Willen. Also sind auch 
wir zu dem Glauben berechtigt, daß unsere begründeten Ansprüche ferner- 
hin vor den Augen unserer Nachbarn nicht mehr für kriegerische und an- 
maßende Hoffnung gelten." 
„Siecle“ hebt hervor, daß beide Trinksprüche die Worte enthalten: 
„Die Bande, welche uns vereinen.“" Dieser Austausch einer gewiß vorher 
studierten Wendung sei ein Beweis, daß zwischen den beiden Regierungen 
mehr bestehe als eine natürliche Sympathie, und mehr als ein unbestimmtes 
Einvernehmen. 
Oktober. Angriffe auf Faure. 
Während des Zarenbesuchs ruhten die inneren politischen Kämpfe 
fast ganz, nur einige sozialdemokratische Blätte wie „Carmagnole" ver- 
spotteten die Huldigungen der Republikaner vor dem Selbstherrscher, der 
nur um eine Anleihe abzuschließen nach Paris gekommen sei. Nach der 
Abreise beginnt der Zeitungskrieg von neuem. Die Angriffe auf den Prä- 
fidenten, der sich ungebührlich in den Vordergrund gestellt und die Minister 
und Parlamentarier bei Seite gelassen habe, werden mit großer Heftigkeit 
wiederholt. 
Die „Autorité“ schreibt: Der Kaiser habe Felix Faure drei derbe 
Lektionen erteilt. Die erste, indem er den Präsidenten des Senats und der 
Kammer, welche Faure bei Seite gelassen hatte, Besuche abstattete; die 
zweite, indem er in seinem Toaste von ganz Frankreich sprach, während 
Faure nur die Republikaner erwähnte, und die dritte, indem er einen Besuch 
in der Kathedrale in das ihm unterbreitete Programm einschob. So hat 
der Kaiser den Präsidenten zu seiner Pflicht gegen die Verfassung, gegen 
Europeischer Geschichtskalender. Bd. XXXVII. 15
	        
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