16 Das Vesche Reich und seine einjelnen Glieder. (Januar 22.)
Landwirtschaft, die dringend der Fürsorge der Regierung bedürfe. Abg. v.
Zedtlitz (fk.) wendet sich gegen Abg. Richter und begrüßt die Vorlage
über den Bau der Kornhäuser mit Freuden. Abg. v. Jazdzewski (Pole)
klagt, daß seine Heimat bei Vermehrung der Richterstellen leer ausgegangen
sei, und daß die polnischen Wünsche auf dem Gebiete der Schule nicht er-
füllt würden; ferner müsse die Regierung den Beamten die Teilnahme an
dem Vereine zum Schutze des Deutschtums verbieten, da dieser die beiden
Nationen verhetze. Abg. Sattler (ul.) weist diese Klagen zurück und
spricht sich befriedigt über die wirtschaftliche Lage aus. Abg. Graf. Lim-
burg-Stirum (dkons.) fordert Abhilfe der landwirtschaftl. Notlage, die
Verurteilung des Antrages Kanitz durch die Regierung sei ungerecht. Redner
tadelt hierauf scharf die Agitation der Christlich-Sozialen.
Am folgenden Tage erklärt Abg. Bachem (Zentr.): Man müsse
sich unbedingt mit der Frage beschäftigen, welchen Einfluß die schwan-
kenden Finanzen des Reiches auf die Einzelstaaten hätten, und müsse den
letzteren irgend eine Sicherung geben. Man müsse das Extraordinarium
verstärken und in guten Jahren sparen. Dies sei ja bereits in der Form
der Verstärkung des Betriebsfonds der Generalstaatskasse geschehen. Der
Gedanke der Reichs-Finanzreform sei schließlich dahin reduziert worden,
daß Preußen keine Matrikularbeiträge zu leisten hätte, aber dafür auch
keine Ueberweisungen erhielte. Das würde für Preußen in den letzten zehn
Jahren einen Verlust von 50 Millionen Mark dargestellt haben. Ueber-
schüsse der Ueberweisungen über die Matrikularbeiträge müßte man aber
in einen Spezialreservefonds legen. Ferner müsse die kathol. Kirche der
evangel. gleichgestellt werden. Der Kampf zwischen katholischer und evan-
gelischer Weltanschauung dürfe nur mit geistigen Waffen ausgekämpft
werden, zu diesem Zweck sei vor allem die Aufhebung des Jesuitengesetzes
erforderlich. Das Zahlenverhältuis zwischen evangelischen und katholischen
Beamten sei ungerecht. Der Reichskanzler sei zwar katholisch, wäre aber
erst ein Jahr im Amt, während die protestantischen Reichskanzler über
25 Jahre im Amt waren. (Große Heiterkeit.) Finanzminister Dr. Miquel
weist die Klagen über finanzielle Zurücksetzung der katholischen Kirche ab
und führt aus, daß die Beamten nach ihrer Tüchtigkeit nicht nach der
Religion angestellt würden. Abg. v. Eynern (nl.) wünscht eine Regelung
der preuß. Finanzverhältnisse zum Reich und fordert die Konvertierung
der 4proz. Staatspapiere im Interesse der Steuerzahler.
22. Januar. Der Reichstag genehmigt einen Antrag Basser-
mann ( nl.) auf Vorlegung eines Gesetzentwurfes, durch welchen
die Bauhandwerker und Bauarbeiter für ihre aus ihren Arbeiten
und Lieferungen an Neu= und Umbauten erwachsenden Forderungen
gesichert werden.
22. Januar. (Berlin.) Der „Reichs-Anzeiger“ ver-
öffentlicht folgenden Dankerlaß des Kaisers:
Mit herzerhebender Begeisterung hat das deutsche Volk in Einmütig-
keit mit seinen Erlauchten Fürsten das 25jährige Bestehen des neu be-
gründeten Reiches gefeiert und dabei nicht nur in Dankbarkeit der Männer
gedacht, deren Weisheit und Hingebung die langersehnte Wiedervereinigung
der deutschen Stämme zu einer starken und achtunggebietenden Gemeinschaft
geschaffen haben, sondern auch von Herzen gelobt, sich der großen Ver-
gangenheit würdig zu erweisen und allezeit in deutscher Mannentreue zu
Kaiser und Reich zu stehen. Mit leuchtender Farbe ist dieses Gelöbnis