Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Das Dentsche Reich uud seine einzelnen Glieder. (Januar 31.) 19 
Der Entw. schlägt vor, das Mindestgehalt für angestellte Lehrer auf 
900 J/. für Lehrerinnen auf 700 MA festzusetzen, nach 7 Dienstjahren werden 
in Zwischenräumen von je 3 Jahren neunmal Alterszulagen von mindestens 
80 resp. 60 „“ gewährt. Daneben freie Wohnung oder Entschädigung. Für 
die Aufbringung der Kosten werden in der Regel jeder politischen Gemeinde 
Staatsbeiträge bis zur Höchstzahl von 25 Schulstellen gezahlt, doch kann 
eine Unterstützung darüber hinaus aus einem Dispositionsfond bezahlt wer- 
den. Der staatliche Mehraufwand ist auf 3000000 1 angenommen. 
Kultusminister Dr. Bosse: Um nicht leidenschaftliche Kämpfe zu 
entfachen, habe man nicht ein Volksschulgesetz eingebracht, sondern nur einen 
hochwichtigen Teil davon. Der gegen das Gesetz erhobene Vorwurf, die 
großen Städte zu gunsten des platten Landes zu belasten sei ungerecht. 
„Vergegenwärtigen wir uns das Ergebnis, wenn die gesamten Schulaus- 
gaben aus der Staatskasse oder durch Zuschläge zur Einkommensteuer ge- 
deckt würden; das wäre doch der gerechteste Maßstab für die Leistungs- 
fähigkeit. Die gesamten Ausgaben für die Volksschule belaufen sich auf 
170 Millionen Mark, d. h. 139 péCt. der gesamten Einkommensteuer. Es 
entfallen 75 Millionen auf die Städte und 95 Millionen auf das Land, 
d. h. in den Städten 89 pECt., dagegen auf dem Lande 320 pét. der Ein- 
kommensteuer. Im Regierungsbezirk Königsberg betrugen die gesamten 
Schullasten 96 pECt. der Einkommensteuer, in der Stadt Königsberg 46 péCt., 
dagegen auf dem Lande 561 pCt. Im Regierungsbezirk Posen betrugen 
die Schullasten für die Städte 168 pECt., auf dem Lande 626 PpéCt., in 
Wiesbaden in den Städten 38 pCt., auf dem Lande 477 pCt. Die Städte 
haben also bisher nicht geleistet, was fie hätten leisten sollen, jedenfalls 
weniger als das Land. 
Abg. Dittrich (3.) steht der Vorlage sympathisch gegenüber, hätte 
aber die Vorlegung eines allgemeinen Volksschulgesetzes gewünscht. Abg. 
Seyffardt (nul.) erklärt, die Nationalliberalen könnten der Vorlage in 
dieser Fassung nicht zustimmen, weil hierdurch die Städte gegen das platte 
Land zurückgesetzt würden, während die Abgg. Schröder (Pole) und v. 
Heydebrand (dkons.) die Bevorzugung des Landes für notwendig halten. 
Am folgenden Tag protestiert Abg. Knörcke (frs. Vp.), daß die großen 
Städte die Zuschüsse verlieren sollten, z. B. Berlin 1 Mill. Mark. Das 
Gesetz komme den Wünschen der Lehrer noch nicht weit genug entgegen. 
Abg. v. Heeremann (83.) fordert die Aufhebung des Falkschen Erlasses 
von 1876, der die Rechte der Kirche auf die Schule beschränke. Minister 
Dr. Bosse lehnt die Aufhebung ab, verspricht aber milde Anwendung. 
Abg. Bartels (dkons.) wünscht ein Volksschulgesetz nach dem Muster von 
1892. — Der Entwurf wird an eine Kommission von 21 Mitgliedern ver- 
wiesen. (Vergleiche „Preußische Jahrbücher“ Bd. 83 S. 492: Das Lehrer- 
besoldungs-Gesetz.) 
31. Januar. (Baden.) Die Kammer über die Instruktion 
der Bundesratsbevollmächtigten. 
In der 2. Kammer beantragt Abg. Muser (Dem.), die großherzog-= 
liche Regierung solle verpflichtet sein, die von ihr dem Bevollmächtigten 
zum Bundesrate erteilten Instruktionen dem Landtage in jeder Session mit- 
zuteilen. In der Verfassungskommission erklärt die Regierung den Antrag 
für unannehmbar. Sie erkenne ihre verfassungsmäßige Verantwortlichkeit 
an, für die Instruktionen der Bundesratsbevollmächtigten, wie für alle 
Regierungshandlungen, und sei bereit, ihre Auffassung in wichtigen, die 
Landesinteressen berührenden Reichsangelegenheiten, welche von den Ständen 
etwa erörtert werden, auf Anfrage darzulegen, insoweit sie mit ihren bundes- 
2*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.