Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

288 Eriechenland. (November 23.) 
Die öffentliche Meinung nimmt mit Ungestüm für die kretischen 
Aufständischen Partei. Sie fordert dringend ihre Unterstützung. Die Regie- 
rung ist zurückhaltend. Die in Athen wohnenden Griechen aus Kreta 
bilden ein eigenes Komitee, das mit dem Komitee der Aufständischen in Kreta 
in direkte Beziehungen treten wird. Das Kriegsministerium hat jedem Offi- 
zier und Unteroffizier die Teilnahme an Verhandlungen untersagt, die Kreta 
betreffen, und läßt solche Offiziere, die verdächtig sind, mit den Kretern in 
Verbindung zu stehen, scharf überwachen. Trotzdem gehen den ganzen 
Sommer über viele Unterstützungen nach Kreta, auch aktive Offiziere deser- 
tieren, um auf Kreta gegen die Türken zu kämpfen. Ende Oktober werden 
acht Offiziere, die wegen Fahnenflucht nach Kreta angeklagt waren, freige- 
sprochen (vgl. Türkei). 
23. November. (Kammer.) Aufßerungen des Minister- 
präsidenten Delyannis über das Budget, die Schulden und die aus- 
wärtige Politik. 
Ministerpräsident Delyannis erklärt hinsichtlich der Unterhandlungen 
wegen Arrangements mit den Gläubigern Griechenlands, die letzten Vor- 
schläge der Regierung seien wesentlich verschieden von dem Vorschlage des 
Komitees; die Verhandlungen seien unterbrochen, aber nicht endgültig ab- 
gebrochen. Die Regierung sei stets geneigt, eine billige Vereinbarung her- 
beizuführen, aber nicht, um einige Organe der auswärtigen Presse, welche 
sich in Schmähungen gegen Griechenland ergehen, zum Schweigen zu bringen, 
sondern weil sie sich moralisch dazu verpflichtet fühle. Indessen müsse die 
Vereinbarung dem Staate die gesamten Mittel lassen, die unentbehrlich 
sind für die Verwaltung und müsse die Rechte der nationalen Souveränität 
achten. Die Einnahmen für das Jahr 1897 werden auf 95343939 Drachmen 
geschätzt, die Ausgaben belaufen sich auf 93753000 Drachmen und sind 
auf das geringste Maß gebracht worden, um die den Gläubigern zustehende 
Quote zu erhöhen. Die Nachtragskredite würden mehr als 650000 Drachmen 
erfordern, immerhin hoffe er, das Defizit vermeiden zu können. Die Aus- 
gaben für das Kriegsministerium sind um 345725 Drachmen, die für die 
Marine um 1360000 Drachmen und die für das Ministerium des Innern 
um 1036195 Drachmen gestiegen. Dagegen sind die Budgets für den 
Unterricht und das Auswärtige herabgesetzt. Die Kontrolle der öffentlichen 
Schuld, welche unbestreitbaren Nutzen für die Verwaltung der Anleihen 
gehabt hat, wird verbessert werden. Delyannis erörterte sodann die Rosinen= 
frage, hinsichtlich welcher Gegenvorschläge von dem Komitee gemacht seien, 
die sich wesentlich von denen der Regierung unterschieden. Der Minister 
lehnt es ab, die Schriftstücke vorzulesen, die sich auf die zweite Periode der 
Verhandlungen beziehen, erklärt jedoch, daß er die dem griechischen Ge- 
sandten in Paris erteilten Instruktionen der Regierung und den Text der 
Gegenvorschläge des Komitees vorlegen werde. Der Redner legt sodann 
die Ergebnisse der Einnahmen aus der Rosinensteuer im Jahre 1895 dar, 
und weist auf die Notwendigkeit der Gründung einer landwirtschaftlichen 
Kasse hin. In der kretischen Angelegenheit betont er, die Ereignisse auf 
Kreta nehmen noch immer die Sympathie der Griechen in Anspruch; er 
wies auf die Ursachen des Aufstandes hin und erklärte, es sei die Pflicht 
der Regierung, ihre Wünsche mit der Politik der Großmächte in Einklang 
zu bringen, die ja auch die Politik der Regierung sei, das heißt zu gunsten 
der Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens. Er kenne die Wünsche 
der Kreter; wenn der Augenblick zur Verwirklichung der Wünsche auch 
noch nicht gekommen sei, so würden sie doch schließlich in Erfüllung gehen 
 
	        
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