22 Baes Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 1.—3.)
licht einen Dankerlaß des Kaisers für die zahlreichen ihm aus
dem In= und Auslande zugegangenen Geburtstagswünsche.
3./6. Februar. (Reichstag.) Erste Beratung des Bürger-
lichen Gesetzbuches (vgl. S. 8). Verweisung an die Kommission.
Staatssekr. Nieberding: Das Gesetzbuch, bestimmt, für unser
Vaterland die so oft ersehnte Rechtseinheit herbeizuführen, ist die Frucht
einer zwanzigjährigen Arbeit und außer der Vorkommission sind zwei
Kommissionen an der Herstellung thätig gewesen. Während die erste Kom-
mission nur aus Rechtsgelehrten bestand, gehörten der zweiten auch Ver-
treter des Erwerbslebens und der praktischen Arbeit an. Die Aufgabe der
letzteren war es, den Wünschen und Einwendungen, welche die Veröffent-
lichung des ersten Entwurfs hervorgerufen hatte, Rechnung zu tragen. Alle
Verbesserungsvorschläge wurden eingehend geprüft und gesichtet und viel
Brauchbares aus ihnen entnommen. Der Entwurf ist somit nicht der Aus-
druck der Ansicht eines beschränkten Kreises, sondern weitester Kreise des
deutschen Volkes. Schon seit Anfang des Jahrhunderts hatten hervor-
ragende Juristen eine Einheitlichkeit des deutschen Rechtes angestrebt, wie
Görres, Thibaut, Savigny, auch der deutsche Bundestag hatte eine Kom-
mission für diese Zwecke eingesetzt. Als der Reichstag des norddeutschen
Bundes zusammentrat, forderte auch er alsbald ein gemeinsames bürger-
liches Recht und der Deutsche Reichstag ist ihm darin gefolgt. Die lange
Verzögerung der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs fällt nicht den Regie-
rungen zur Last, sondern ist eine Folge der großen Schwierigkeiten, welche
sich der Materie entgegenstellten, gewissermaßen eine Folge der Geographie
der deutschen Reichsgebiete. Zur maßgebenden Grundlage durften die gel-
tenden Rechte nicht gemacht werden, sondern es waren die Gesichtspunkte
der Zweckmäßigkeit und die Bedürfnisse der Gegenwart in die erste Linie
zu stellen. Das sogenannte römische Recht durfte aber dabei nicht ganz
übergangen werden, obgleich dies ein überspanntes Nationalgefühl wünschte.
Dieses Recht ist deutsch geworden und durch seine Klarheit die Grundlage
des Rechts aller Kulturstaaten geworden. Selbstverständlich haben auch
deutschrechtliche Anschauungen Berücksichtigung gefunden. Den Anschauungen
des deutschen Volkes ist überall in der Auswahl der Rechtsbestimmungen
Rechnung getragen worden. Mit dem bestehenden Recht ganz brechen will
das deutsche Volk nicht; das habe die Kommission auch berücksichtigt. Wenn
sich das Haus diese prinzipiellen Gesichtspunkte aneignet, so wird es er-
kennen, daß das Ganze gelungen und daß man nur an Einzelheiten Ab-
änderungen wünschen kann. Dem Gesetzbuch ist auch der Vorwurf gemacht
worden, daß es nicht die Sprache des deutschen Volkes rede. Ich glaube
nicht an diesen Vorwurf, obgleich Mängel nicht zu leugnen sind. Der
„Code"“ ist z. B. keineswegs verständlicher als das neue deutsche Rechts-
buch, höchstens kann man eine elegantere Ausdrucksweise zugestehen. Auch
das preußische Landrecht ist nicht gemeinverständlicher. Ich hoffe, daß der
Reichstag seine Aufgabe nicht darin sehen wird, kleinen Bedenken einen zu
starken Ausdruck zu verleihen, nur erinnere ich hierbei an das Schicksal
des deutschen Handelsgesetzbuches, das nahe daran war, zu scheitern, wenn
es nicht die deutschen Parlamente trotz hundertfacher juristischer Bedenken
angenommen hätten. Man muß das große Ganze im Auge haben und mit
den großen Vorzügen kleine Unvollkommenheiten in den Kauf nehmen. Vom
nationalen Standpunkt aus ist das große Werk zu betrachten. Dann wird
man auch den richtigen Weg finden. Welcher materielle Vorteil liegt nicht
in einem einheitlichen Recht! Aber ein ganz anderer Gewinn ist noch die