Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

IILIIIIIIIIIIIIIZtIII 311 
scheidung des Appellhofes über die Verwendung der Staatsschulden- 
kasse (S. 283), die es zwang, die Kosten des Feldzuges selbst zu 
bestreiten. Diese Aufwendung von Geldern im egyptischen Interesse 
gibt ihm eine Berechtigung mehr, die Okkupation aufrecht zu er- 
halten, zumal es hierin auf die Unterstützung oder mindestens das 
Wohlwollen des Dreibundes zu rechnen hat. Frankreich und Ruß- 
land, die jene Entscheidung des Gerichtshofes provozierten, um der 
englischen Regierung einen Stein in den Weg zu legen, haben ge- 
rade dadurch die Position ihres Widersachers gestärkt. 
Wie im vorigen Jahre beschäftigte die Balkanhalbinsel diegr#sche 
europäische Diplomatie in hohem Grade. Zuerst war es der kretische und ar- 
Aufstand, später die unaufhörlichen Kämpfe zwischen Armeniern“ 
und Türken, zu denen die Großmächte Stellung nehmen mußten. 
In der Verurteilung der türkischen Zustände war alle Welt einig, 
aber über die einzuschlagenden Schritte gingen die Meinungen weit 
auseinander. In Kreta sahen die Mächte den blutigen Kämpfen 
lange unthätig zu, da England die von Österreich vorgeschlagene 
Blockade der Insel, um den Aufständischen den Zuzug aus Griechen- 
land abzuschneiden, vereitelte, und in der armenischen Frage kam 
man auch nicht weiter, als gemeinsam den Sultan aufzufordern, 
Vorgänge wie das Konstantinopeler Blutbad (S. 276) zu verhüten. 
In Europa zwar forderten viele Stimmen — und am lautesten 
in England — energische Zwangsmaßregeln gegen den Großherrn, 
um die Christen vor neuen Metzeleien zu schützen, aber Rußland 
in erster Linie und Osterreich widerstrebten jedem aktiven Eingreifen. 
Rußland, dessen Aspirationen auf Konstantinopel und die Allein- 
herrschaft über das Schwarze Meer nicht erloschen sind, hat kein 
Interesse an einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Pforte, das 
bei dem inneren Verfall des Osmanenreichs dessen Auflösung zur 
Folge haben kann. Die Vernichtung des türkischen Reiches kann 
der Zar nur wünschen, wenn er sie allein ausführen und die Mit- 
wirkung anderer Mächte an der Verteilung der Beute ausschließen 
kann. Da das nun vorläufig unmöglich ist und Rußland nicht 
stark genug ist, um gegen den Willen des europäischen Konzertes 
die Türkei zu annektieren, so muß es den Zusammenbruch der Türkei 
einstweilen hinauszuschieben suchen, bis eine günstigere Gelegenheit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.