Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Reichs- 
tag. 
314 Nebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1896. 
zielle Gründe forderten also gebieterisch die beträchtliche Vermehrung 
der Flotte. Sogleich wurden heftige Proteste hiegegen laut; der 
Reichstag bewilligte zwar nach eingehender Begründung durch Herrn 
v. Marschall einige von der Regierung geforderte Kreuzer, aber 
die Parteiführer versäumten nicht, dringend von etwa noch beab- 
sichtigten großen Forderungen abzuraten. Als nun bei Schluß des 
Jahres der Etat ca. 70 Millionen für den Bau von Schiffen, 
Docks und dgl. forderte, war keine parlamentarische Partei ohne 
Bedenken, selbst die Mittelparteien und die Konservativen, bisher 
die Stützen der Regierung in militärischen Fragen, konnten sich aus 
finanziellen Rücksichten nicht zu einem zustimmenden Votum ent- 
schließen und machten ihre definitive Entscheidung von den Mit- 
teilungen in der Kommission abhängig. 
Die Session des Reichstages war außerordentlich fruchtbar 
(S. 95). Die Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuchs krönte 
eine zwanzigjährige emsige Arbeit und schlang ein neues Einheits- 
band um die deutschen Stämme, und die Abänderung des Militär- 
gesetzes von 1893 ermöglichte die bessere Ausbildung eines großen 
Teils der stehenden Armee. Wie alljährlich füllten einen großen 
Teil der Session agrarische und sozialpolitische Debatten aus. Der 
Antrag Kanitz wurde abermals abgelehnt und ebensowenig befrie- 
digte die Agrarier die Erklärung des Reichskanzlers über die Wäh- 
rungsreform, dagegen atmen die Gesetze über die Zuckersteuer und 
das Börsengesetz mit dem Verbote des Getreidetermingeschäfts ent- 
schieden agrarischen Geist. Das Margarinegesetz erhielt wegen seiner 
den Kleinhandel beschränkenden Bestimmungen nicht die Zustim- 
mung des Bundesrats. An sozialpolitischen Ergebnissen sind die 
Abänderung der Gewerbeordnung, die Bekämpfung des unlauteren 
Wettbewerbs sowie einige Anträge auf Ausbau des Versicherungs- 
wesens zu erwähnen. Das bedeutendste Ereignis auf diesem Ge- 
biete ist die Verordnung des Bundesrats über den Betrieb der 
Bäckereien, die freilich von der Mehrheit der Volksvertretung ent- 
schieden getadelt wurde. Eine Innungsvorlage, die die preußische 
Regierung im Sommer dem Bundesrate vorlegte, stieß bei den süd- 
deutschen Regierungen auf Widerspruch und unterliegt noch den 
Beratungen des Bundesrats. Die Strafprozeßnovelle endlich ließ die
	        
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