Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Nebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1896. 315 
Regierung nach langen Verhandlungen fallen, da sie sich mit dem 
Reichstage über die Besetzung der Strafkammern nicht einigen konnte. 
Ihretwegen hatte man den Reichstag im Sommer nicht geschlossen, 
sondern nur um einige Monate vertagt, um die zweite Lesung fort- 
setzen zu können. 
Weniger ergiebig war die Session des preußischen Landtags. krt 
Die Vorlagen auf Erhöhung der Besoldung der Volksschullehrer * 
und Regelung der Richtergehälter fanden keine Mehrheit; die erste 
verwarf im Herrenhause eine Koalition von Bürgermeistern und 
Großgrundbesitzern, die teils eine zu große Belastung der schulunter- 
haltungspflichtigen Gemeinden befürchteten, teils die beantragten 
Gehaltssätze für zu hoch erklärten; die zweite siel im Abgeordneten- 
hause wegen einer der Linken und dem Zentrum anstößigen Be- 
stimmung. Ein Gesetz über Neuorganisation der Handelskammern 
wurde in der Kommission begraben. Beschlossen wurde u. a. der 
Bau von Kornhäusern, die Vergrößerung der Zentralanstalt für 
genossenschaftlichen Personalkredit und der Ausbau des Eisenbahn- 
netzes. Die gescheiterten Vorlagen wurden im Herbst in modi- 
fizierter Form wiedereingebracht, doch ist noch keine Entscheidung 
erfolgt. Dagegen wurde oft geäußerten Wünschen entsprechend eine 
Vorlage auf Herabsetzung des Zinsfußes eingebracht und angenommen. 
Mit einer solchen Maßregel war Bayern vorangegangen und Würt- 
temberg regelte diese Frage ungefähr gleichzeitig in ähnlichem Sinne 
wie Preußen. 
Die konservative Partei, die im vorigen Jahre die radikalen Die 
sozialen Elemente abgestoßen hatte, schritt auch 1896 auf dieser ur- 
Bahn weiter. Zu Beginn des Jahres trennte sie sich vom Hof- Konfer- 
prediger a. D. Stöcker, weil ihr dessen sozialpolitische Richtung und vative 
ein Teil seiner Anhänger nicht mehr genehm war (S. 20). Mit 
Stöcker schieden auch seine näheren Gesinnungsgenossen aus der 
Fraktion aus und gründeten eine eigene „christlich-soziale“ Partei, 
die nunmehr naturgemäß in einen gewissen Gegensatz zur kon- 
servativen Partei trat. Zum erstenmal zeigte sich das in der De- 
batte über die Bäckereiverordnung (S. 82). Wie mit den Wort- 
führern einer Weiterführung der Sozialpolitik auf Grund der kaiser- 
lichen Erlasse von 1890 zerfielen die Konservativen auch mit den
	        
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