Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

318 Nebersicht der politischen Entwichelnus des Jahres 1896. 
Erfolg hat dieser Versuch noch nicht erzielt, nicht einmal alle nähe- 
ren Gesinnungsgenossen Stöckers haben den evangelisch-sozialen 
Kongreß verlassen. 
Einschneidendere Aenderungen als innerhalb dieser wissen- 
schaftlich-theoretischen Vereinigungen haben sich auf politischem 
Boden vollzogen. Die Gründung der christlich-sozialen Partei, die 
ihren Charakter von den politischen Ideen Stöckers empfängt und 
vorwiegend Handwerkerpartei ist, haben wir bereits kennen gelernt. 
Gegen Schluß des Jahres aber hat sich auch die soeben erwähnte 
jüngere Richtung unter Führung des Pfarrers Naumann eine poli- 
tische Organisation gegeben. Eine solche Absicht wurde in der von 
Naumann herausgegebenen „Hilfe“ wiederholt erörtert und zwar 
um so nachdrücklicher, je mehr sich die Wege der älteren und jüngeren 
Christlich-Sozialen schieden. Im letzten Herbst traten darum Dele- 
gierte aus allen Gegenden Deutschlands zusammen, und nach heißen 
Redekämpfen einigte man sich über die Grundzüge eines Programms 
und einer Organisation, beschloß aber bei der numerischen Schwäche 
der Gesinnungsgenossen vorläufig noch keine Partei zu bilden, son- 
dern sich bis auf weiteres „National-sozialer Verein“ zu nennen. 
Wiewohl also die Entwickelung noch nicht abgeschlossen ist, lassen 
sich doch die Ziele und Anschauungen der „National-Sozialen“ aus 
den Erfurter Reden und der Haltung der „Zeit“, ihres Organs, 
zur Genüge erkennen. Sie wollen die Arbeiter der internationalen 
und irreligiösen Sozialdemokratie entreißen und auf nationalen 
und religiösen Boden zurückführen, zugleich aber ihre politische und 
wirtschaftliche Macht erheblich verstärken. Das letzte ist notwendig 
aus religiös-humanitären Rücksichten und im Interesse der natio- 
nalen Machtstellung, denn, sagen sie, nur eine mit ihrem Lose zu- 
friedene Arbeiterschaft wird willig Gut und Blut an die Ver- 
teidigung des Vaterlandes setzen. Umgekehrt fordern sie eine ent- 
schiedene auswärtige Politik und Erhaltung der Wehrkraft im In- 
teresse des Proletariats, denn nur ein starker Staat ist im stande, 
Handel und Wandel so zu schützen, daß die deutsche Industrie, von 
deren Gedeihen das Wohl eines großen Teils der Arbeiter abhängt, 
die Konkurrenz mit der ausländischen aufnehmen und sich über- 
seeische Märkte erobern kann. Aus diesem Grunde treten sie —
	        
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