Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Das Veutsche Reich und seine einzelnen Flieder. (Februar 24.—27.) 37 
24. Februar. (Württemberg.) Erlaß über Strafaufschub 
und Strafmilderung. 
Der Staatsanzeiger für Württemberg veröffentlicht einen Erlaß des 
Königs an den Justizminister, nach welchem Personen unter 18 Jahren 
bei erstmaligen wegen Gesetzesübertretungen verhängten Strafen von höchstens 
drei Monaten von dem Justizministerium ein stets widerruflicher Straf- 
aufschub gewährt und nach einer angemessenen Probezeit bei guter Führung 
von dem König Nachlaß der Strafe oder Strafmilderung gewährt wird. 
26. Februar. (Frankfurt a. M.) Parteitag der christ- 
lich-sozialen Partei. Stellung zu Naumann und den Konser- 
vativen. 
Graf Solms-Laubach, der Vorsitzende, führt aus, die Christlich- 
Sozialen müßten sich von nun an der konservativen Partei gegenüber kühl 
abwartend verhalten. Sie erkennten die Not der Landwirtschaft voll an, 
wollten aber nicht, daß der Konservatismus im Agrariertum aufgehe. Ueber 
das Verhältnis zu den Anhängern Naumanns referiert Wahl-Langen: 
Naumann komme der Sozialdemokratie oft zu weit entgegen und ginge 
einseitig von der Not des vierten Standes aus, während andere Stände 
ebensogut der Fürsorge bedürften. Er habe für die Judenfrage kein Auge; 
er wolle den Klassenkampf, wir die Versöhnung. Naumann lege den Namen 
„Christlich-Sozial“ am besten ab. Nach einem Referat des Hofpredigers a. D. 
Stöcker, der den Konservativen Vernachlässigung der Sozialreform vor- 
wirft, werden mehrere Resolutionen angenommen: Es wird darin Stöckers 
Austritt aus der konservativen Partei gebilligt und eine selbständige christ- 
lich-soziale Partei gebildet. Jede grundsatzwidrige Konzession an die Mittel- 
parteien wird abgelehnt, eine größere ökonomische Gleichstellung von Reich 
und Arm erstrebt, aber jede radikale Theorie über absolute Gleichstellung 
verworfen. Der Kampf gegen den Umsturz muß unter der Fahne des 
lebendigen Christentums geführt werden. Ein politisches Zusammengehen 
mit der jüngeren Richtung ist unmöglich, weil dieser ein festes Pro- 
gramm fehlt. 
27. Februar. (Reichslande.) Landesausschuß. Paritäts- 
frage an der Universität. 
Die Abgeordneten Spieß und Winterer klagen, daß im Lehr- 
körper der Straßburger Universität die Katholiken fast gar nicht vertreten 
seien. Staatssekretär v. Puttkammer erwidert, bei der Gründung der 
Universität sei beabsichtigt gewesen, dieselbe nach dem Muster der Bonner, 
Breslauer und Würzburger Hochschulen zu einer sogenannten paritätischen 
zu gestalten, die aber hier zu Lande anders als im übrigen Deutschland 
geartete Erziehung des katholischen Klerus habe leider den Plan vereitelt. 
Noch vor wenigen Jahren sei man dem Gedanken wieder näher getreten, 
hier eine katholische Fakultät zu errichten; diesem Gedanken stehe auch der 
Bischof von Straßburg sympathisch gegenüber, doch sei die Ausführung an 
dem heftigen Widerstande von katholischer Seite gescheitert. Sobald eine 
solche Fakultät errichtet sei, würde auch auf die Konfession der Lehrer ent- 
sprechende Rücksicht genommen werden, was aber unter den jetzigen Ver- 
hältnissen bei der in Deutschland gewährten vollkommenen Freiheit der 
Wissenschaft nicht angehe. 
27. Februar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Kultusetat. 
Schul= und Paritätsfragen.
	        
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