132 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 8. 9.)
Parole lauten muß: gegen die Sozialdemokratie. Aber wir werden durch
dieses Schreiben in der Ueberzeugung bestärkt, daß in einer ungleich
größeren Anzahl von Wahlkreisen die Parole lauten muß: gegen das
Agrariertum.
„Germania“: Mit dem wirtschaftlichen Programm des Grafen Posa-
dowsky, soweit dasselbe die Politik des Ausgleichs verkündet und den
Schutz der heimischen Produktion, insbesondere der Landwirtschaft und der
Mittelstände empfiehlt, können wir uns gern einverstanden erklären. Be-
dauern müssen wir es aber, daß Herr Graf Posadowsky auf sozialpolitischem
Gebiete nicht über eine Reform der Arbeiterversicherungsgesetze hinausgehen
will. Wir wünschen und verlangen dagegen, daß die Februarerlasse des
Kaisers nicht dem Aktenstaube der Repositorien überliefert, sondern gesetz-
geberisch ausgeführt und durchgeführt werden.
Die konservativen Urteile lauten im allgemeinen zustimmend. „Ham-
burger Nachrichten“: Wir unterschreiben jedes Wort dieser Kundgebung
des Herrn Staatssekretärs und können nur wünschen, daß die übrigen
Ministerkollegen des Grafen Posadowsky die Auffassungen desselben teilen.
8. Juni. Der bayerische Landtag wird vertagt, nachdem
er das Finanzgesetz gegen die Stimmen der Sozialdemokraten an-
genommen hat. — Das Gesetz setzt die Ausgaben für je ein Jahr
der Finanzperiode auf 379⅛ Millionen fest, nahezu 7¼ Millionen
mehr, als die ursprüngliche Regierungsvorlage verlangt hatte.
9. Juni. (Berlin.) 50jähriges Jubiläum der Berliner
Schutzmannschaft. Erlaß und Ansprache des Kaisers.
Der „Reichs-Anzeiger" veröffentlicht folgenden königlichen Erlaß:
Ich habe der Schutzmannschaft zu Berlin zur dauernden Erinnerung
an das 50jährige Jubiläum derselben in Anerkennung der von ihr ge-
leisteten treuen Dienste eine Helmzier nach den anbei zurückfolgenden beiden
Mustern mit der Aufschrift: „In Treue fest“ zwischen den Jahreszahlen
1848 und 1898 verliehen und will auch dem Polizei-Präsidenten von Berlin
die Anlegung dieser Helmzier gestatten. Sie haben hiernach das Weitere
zu veranlassen. Zugleich will Ich aus diesem Anlaß dem Polizei-Präsidium
als Zeichen Meines Wohlwollens Mein Bildniß in Oel gemalt verleihen,
welches demselben direkt zugehen wird.
Potsdam, den 9. Juni 1898.
Wilhelm R.
An den Minister des Innern.
Am 11. Juni hält der Kaiser bei einem General-Appell der Ber-
liner Schutzmannschaft folgende Ansprache:
Der Berliner Schutzmannschaft spreche Ich an ihrem heutigen Ehren-
tage Meinen Glückwunsch aus. Wie hoch Ich diesen Tag ansehe und auch
die Stellung, die Ihr zu Mir und Meinem Hause einnehmt, mögt Ihr
daraus ersehen, daß Ich Euch zu Mir in Mein Haus eingeladen habe.
Ich betrachte Euer Fest auch als das Meine. In schwerer Zeit begründet
von Meinen Vorfahren, habt Ihr den Erwartungen vergangener preu-
ßischer Könige voll entsprochen. Ich wünsche Euch von Herzen, daß die
vorzügliche Reputation, die die Berliner Schutzmannschaft überall genießt,
auch ferner Eurem Korps erhalten bleibe. Als brave und tüchtige Sol-
daten und brave und zuverlässige Schutzleute, den Bürgern Berater, Helfer,
Freiherr von der Recke.