Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

136 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni.) 
Konservative 52 (64) 
Reichspartei 22 (24) 
Zentrum 101 (98) 
Reformpartei 10 (12) 
Nationalliberale 48 (50) 
Freisinnige Volkspartei 29 (28) 
Freisinnige Vereinigung 13 (13) 
Süddeutsche Volkspartei 8 (12) 
Bund der Landwirte 2 (0) 
Polen 14 (20) 
Dänen 1 (1) 
Bauernbund 4 (4) 
Sozialdemokraten 56 (48) 
Fraktionslose 17 (7) 
Welfen 10 (7) 
Christlich-Soziale 1 (0) 
Elsässer 10 (9) 
Juni. Die Presse über das Resultat der Reichstagswahlen. 
Die „Köln. Ztig."“ schreibt: Heute kann es keinem Zweifel mehr 
unterliegen, daß die zarte Rücksichtnahme der Herren von Miquel und 
Graf Posadowsky auf die zum größten Teile unberechtigten Wünsche und 
einseitigen Bestrebungen der ostelbischen Agrarier ein schwerer politischer 
Fehler gewesen und daß die beiden Minister eine politische Kurzsichtigkeit 
bewiesen haben, die sich in den parlamentarischen Kämpfen der nächsten 
Jahre schwer rächen wird. Hätten sie rechtzeitig eingesehen, welch geringen 
Wert und welche unbedeutende Zugkraft all das Wortgeklingel der Herren 
v. Plötz und Genossen für die großen Massen haben mußte, so wäre die 
gewaltige Parteizersplitterung und Parteiverwirrung nie bis zu der jetzigen 
bedauerlichen Höhe gestiegen. Es wirft auf die Festigkeit unserer Staats- 
regierung ein recht bedenkliches Licht, daß nach zuverlässigen Berichten so- 
gar ein Teil der Landräte und höheren Regierungsbeamten sich nicht ge- 
scheut hat, offen für die Kandidaten des Bundes der Landwirte in den 
Wahlkampf einzugreifen. 
„Hamb. Nachrichten": Die wunderliche Prophezeiung, daß man der 
Sozialdemokratie nur eine absolut freie Diskussion in der Oeffentlichkeit 
zu gestatten brauche, um sie an der Verödung ihrer Versammlungen, an 
dem Abfall ihrer Gefolgschaft dahinsiechen zu sehen, hat sich in ihr voll- 
ständiges Gegenteil verkehrt. Man hat sich unsagbare Mühe gegeben, in 
allen Tonarten den „Zukunftsstaat“ lächerlich zu machen; aber statt den 
Sozialdemokraten die Wahlstimmen dadurch abzujagen, hatte es eher den 
Anschein, als ob sie ihnen neue Anhänger in hellen Haufen zugetrieben 
hätten.   .  .  .  .  . Die Frage ist, ob die verantwortlichen Leiter unseres natio- 
nalen Staatswesens dem gewaltigen Erstarken der Sozialdemokratie, wie 
es sich hier bekundet, ruhig und gleichgültig zusehen dürfen. Wird diese 
Frage, wie wir es für selbstverständlich halten, verneint, so wird nur übrig 
bleiben, in der Behandlung der Sozialdemokratie einen vollständig anderen 
Weg einzuschlagen, als man ihn seit acht Jahren befolgt hat. 
Der „Reichsbote“ (kons.) befürchtet von dem Anwachsen der Sozial- 
demokratie eine schlimme Zukunft: Es ist eine erschütternde Erfahrung: 
solange das Deutsche Reich noch nicht bestand, sehnte sich alles danach, und 
als es in glorreichem Kriege in Herrlichkeit errichtet wurde, jubelte man 
ihm zu — und jetzt, wo es besteht und seinen Segen in reichster Fülle 
über das Land ausschüttet, verbündet sich dasselbe Volk mit der Umsturz-
	        
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