Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 18. 27.) 137 
und Revolutionspartei gegen das Reich, um es umzustürzen, ohne zu wissen, 
was es an die Stelle setzen könnte. Ist das noch menschlich und nicht viel- 
mehr dämonisch? 
„Deutsch-sozialen Blätter“ (antis.): Verlust an Mandaten und Wahl- 
stimmen, statt des gehofften Zuwachses für unsere Partei. Das ist das 
wenig erfreuliche Ergebnis der diesmaligen Reichstagswahl. Das Eine 
kann schon heute gesagt werden: wir haben unsere Kräfte weit überschätzt 
und haben uns nicht als Meister in der Beschränkung auf Erreichbares 
gezeigt. Das Endergebnis der diesjährigen Wahlen wird jedem einsichtigen 
und vaterlandsliebenden Manne und hoffentlich auch der Regierung, die 
Augen darüber öffnen, daß es nur ein Mittel gibt zur Eindämmung des 
weiteren Anschwellens der Umsturzpartei, nämlich Erweiterung des all- 
gemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts zur Wahlpflicht. 
„Vorwärts“: Hätten wir auch bei politischer und wirtschaftlicher 
Einsicht der städtischen Bourgeoisie mehr Stichwahl-Erfolge haben können, 
so sind wir doch völlig befriedigt vom Ergebnis der Wahl. Das kolossale 
Anschwellen unserer Stimmen, das der Tag der Hauptwahl gebracht hat, 
den ungeheuren Fortschritt unserer Ideen im deutschen Volke, das gewaltige 
Vordringen des Sozialismus kann keine noch so ausgeklügelte und streng 
eingehaltene Koalition der Feinde des arbeitenden Volkes verkleinern. 
Stolz steht unsere Partei da, erhaben über den elenden Schachergeist unserer 
Gegner. Die Erklärung unserer obersten Parteibehörde, welche die Haltung 
unserer Parteigenossen bestimmt, ist ein historisches Dokument für die von 
aller Kleinlichkeit, von aller unreinen Sucht nach Mandaten freie Prin- 
zipienfestigkeit unserer Partei; keine, auch nicht die leiseste Andeutung von 
Tauschgeschäften, ausschließlich politisch wichtige, auch für den Unterstützten 
ehrende Erklärungen werden hier gefordert, während unsere Gegner wie 
die   Juden im Tempel Salomonis schacherten und feilschten um Stich- 
wahlhilfe. 
Die „Kreuz-Zeitung" schreibt über die Stichwahlen: Und von dem 
Ergebnisse der Stichwahlen ist leider das Gesamtergebnis diesmal, wie ge- 
sagt, in viel höherem Maße abhängig, als je zuvor. Wir haben schon den 
Wunsch ausgesprochen, daß überall, wo ein Sozialdemokrat zur engeren 
Wahl steht, sich die übrigen Parteien gegen diesen vereinigen möchten. 
In denjenigen Bezirken, wo ein Freisinniger neben dem Sozialdemokraten 
in Betracht kommt, wird jener Wunsch auch von den Freisinnigen geteilt. 
Wir sind überzeugt, daß ihm die Konservativen allenthalben entsprechen 
werden, sofern auch die Freisinnigen die Parole „Kampf gegen die Sozial- 
demokratie“ bei den Stichwahlen grundsätzlich zu der ihrigen machen. 
Die „Freisinnige Zeitung“: Die rechte Seite hat bei den Haupt- 
wahlen Gewinne zu verzeichnen, und andere Gewinne stehen bei den Stich- 
wahlen in Frage. Nichts wäre daher verkehrter, als statt des Kampfes 
auf zwei Fronten einzig und allein die Bekämpfung der Sozialdemokratie 
in Betracht zu ziehen. Die Sozialdemokratie kann auf die Dauer wirksam 
nur bekämpft werden durch eine liberale Politik. Interessenpolitik aber, 
wie sie gegenwärtig von den rechtsstehenden Parteien betrieben wird, fördert 
zugleich die Sozialdemokratie. 
Die Presse der Mittelparteien und ein Teil der Zentrumspresse gibt 
die Parole aus, überall gegen die Sozialdemokratie zu stimmen. 
18. Juni. (Altona.) Das Kaiserpaar nimmt an der Ent- 
hüllung eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals teil. 
27. Juni. (Berlin.) Der Staatssekretär des Reichspost- 
amts v. Podbielski erläßt eine Bestimmung gegen das Eindringen
	        
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