Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 22./24.) 153
welche auch über intimere politische Vorgänge im Leben Winbdthorsts,
namentlich in der Periode nach 1890, genau unterrichtet zu sein glauben,
in dieser Form der Begründung. Dagegen ist es richtig, daß in der frag-
lichen Zeit ein Wechsel in der Stellung des Kaisers zu Winbthorst sich
vollzog, dessen Plötzlichkeit vielfach aufgefallen ist. Ueber die Veranlassung
sind damals verschiedene Vermutungen rundgegangen, ohne daß Bestimmtes
an die Oeffentlichkeit drang. Windthorsts Taktgefühl wußte Indiskretionen
selbst dann zu verhüten, wenn dieselben geeignet gewesen wären, manche
für ihn unangenehme Legende zu zerstören. Der Kaiser betrachtete damals
Windthorst als einen zielbewußten Feind des Hohenzollernhauses. Diese
Auffassung wurde aber durch einen Zwischenfall, welcher mit der Geld-
spende des Prinz-Regenten Luitpold für die Windthorst-Kirche in Hannover
in Zusammenhang stand, so gründlich erschüttert, daß der Kaiser in der
Folgezeit an der Loyalität und vornehmen Gesinnung Windthorsts nicht
mehr den leisesten Zweifel hegte. In welch schmeichelhaften Formen sein
Respekt vor dem „Welfen“ bei der Krankheit und nach dem Tode Windt-
horsts in die Erscheinung trat, ist noch in aller Erinnerung.
22./24. August. (Krefeld.) 45. Generalversammlung der
Katholiken Deutschlands. Nekrolog auf Bismarck. Peterspfennig,
Presse, Schule.
Der Präsident Frhr. v. Freyberg eröffnet die Versammlung mit
einem Nachruf für die verstorbenen Mitglieder und fährt fort: Aber unser
Blick bleibt auch an der Bahre eines Mannes hängen, der nicht einer der
Unseren war, sondern ein erbitterter Feind der katholischen Kirche. Aber
gerade diese Feindschaft hat das Ansehen des Zentrums im öffentlichen
Leben wieder auf die Höhe gebracht und ihm eine Stellung verschafft.
Wir haben es nicht zu thun mit den staatsmännischen Verdiensten des
Fürsten Otto von Bismarck, nicht mit seinen Verdiensten um die längst
erträumte und ersehnte Einigung des deutschen Volkes. nicht mit den Ver-
diensten, die er sich erworben hat, indem er das deutsche Volk wieder ge-
achtet gemacht hat im Rate der Völker. Wir haben uns hier mit seinem
Verhältnis zur katholischen Kirche zu beschäftigen. Es sei ferne von mir,
heute den Vorhang wegzuziehen von jenem traurigen Schauspiel des Kultur-
kampfes, dessen Abschluß allerdings — freilich gegen den Willen seines
Urhebers — für uns so segenreich war. Der eiserne Kanzler, der mit sieg-
gewohnter Faust auch an den Institutionen unserer katholischen Kirche zu
rütteln wagte, hat sich überzeugen müssen, daß seine sonst so erprobte
Staatskunst zerschellen mußte an der Einheit des katholischen Volkes
(Stürmischer, langanhaltender Beifall), an der Glaubenstreue des katho-
lischen Teiles des deutschen Volkes! (Stürmischer Beifall.) Aber wir
müssen anerkennen, daß er dem Kanossaruf Folge geleistet hat und um-
gekehrt ist von dem eingeschlagenen Wege. Zwar hat er uns nicht den
religiösen Frieden gebracht, aber — wie der heilige Vater sagte — den
Zugang zum Frieden verschafft. Wenn er noch länger im Amte geblieben
wäre, wer weiß, ob er nicht noch alle die häßlichen Reste, wie z. B. das
Jesuitengesetz, aus jener traurigen Zeit mit seinem langen Bleistift dick
durchstrichen hätte! (Beifall.) Aber angesichts des Sarges schweigen die
Kampfesleidenschaften.
Weiterhin wird debattiert über die internationale Stellung des
Papstes und zur Sammlung für den Peterspfennig ermahnt, dann wird
unbeschränkte Freiheit für die Orden gefordert. Ueber die Presse sagt
Dr. Huppert: Die gegnerische Presse sei das größte Verderben für die