Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 10. 13.) 161
begrüßen die Rede als erlösende That.“ Nur gut, daß die „weitesten Kreise“
des Herrn Schweinburg in Wirklichkeit sehr eng sind in jeder Beziehung.
Weiteste Kreise, Kreise echt nationaler und königstreuer Gesinnung, be-
klagen das Wort aufs tiefste und zwar aus mehr als einem Grunde.
Dafür sprechen sich aus u. a. „Berl. Neueste Nachr.“, „Hamburger
Nachr.“, „Schles. Ztg.“, „Post“. — Die sozialdemokratische Presse behandelt
die Rede wiederholt bis zum Schluß des Jahres und benutzt sie als Agi-
tationsmittel. Die Diskussion wird besonders lebhaft nach dem Telegramm
der Industriellen an den Kaiser (13. September).
Nach der Ermordung der Kaiserin von Oesterreich wird die Frage,
wie die Anarchisten besser zu bekämpfen seien, diskutiert. Die Zentrums-
blätter sehen den Grund des Uebels vornehmlich in der materialistischen
und atheistischen Wissenschaft und unsittlichen künstlerischen Darstellungen.
Die sozialdemokratische „Rheinisch-Westfälische Arbeiterzeitung“ schreibt:
Lucheni ist (das steht jetzt fest) Anarchist und nicht unzurechnungsfähig;
zu den Gründen solcher anarchistischen Schandthaten gehört eine herostra-
tische Ruhmsucht, die nicht durch den Tod und nicht durch Gefängnis, aber
vielleicht durch Prügel gedämpft wird. Wir halten deshalb in diesem Falle
die Prügelstrafe für wohl diskutabel.
Für diese Aeußerung erhält die Redaktion folgenden Verweis:
In der heutigen Sitzung des Parteivorstandes nahm derselbe auch
Stellung zu den Auslassungen der „Rheinisch-Westfälischen Arbeiterzeitung“
über die Anwendung der Prühgelstrafe für anarchistische Attentäter. Der
Vorstand kam dabei einstimmig zu dem Ergebnis, daß die bezüglichen Aus-
lassungen der „Rheinisch-Westfälischen Arbeiterzeitung“ im schroffsten Wider-
spruch zu den bisher in der Partei hochgehaltenen Grundsätzen stehen und
deshalb auf das entschiedenste zurückzuweisen sind. Die Partei hat von
jeher den Standpunkt eingenommen, daß Prügel verrohen den, der sie be-
kommt, und den, der sie austeilt. Von diesem Grundsatze abzugehen, dazu
kann uns auch der tiefste Abscheu vor den anarchistischen Mordthaten nicht
bestimmen. Gestützt auf den § 15 unseres Organisationsstatuts, welcher
die Parteileitung mit der Kontrolle der prinzipiellen Haltung der Partei-
organe betraut, geben wir hiermit der Redaktion von dem vorstehenden
Beschlusse mit dem Ersuchen Kenntnis, den Lesern des Blattes davon Mit-
teilung zu machen. Mit sozialdemokratischem Gruße
Der Parteivorstand.
10. September. (Reichstag.) In der Reichstagsersatzwahl
in Pyritz-Saatzig wird an Stelle des verstorbenen Abg. v. Plötz
Frhr. v. Wangenheim (B. d. Landw.) gewählt.
13. September. (Düsseldorf.) Industrielle Vereine senden
an den Kaiser folgendes Telegramm:
Die furchtbare That, welcher Ihre Moajestät die Kaiserin von Oester-
reich zum Opfer gefallen ist, ist ein erschreckender neuer Beweis für die
Ziele des Anarchismus und der zu diesem führenden Bestrebungen. Unter
dem unsere Herzen auf das tiefste bewegenden Eindruck wissen wir uns mit
Eurer Majestät einig in dem Gefühle der Pflicht, den Versuchen, unsere
Religion, unsere Liebe zu unserem erhabenen Herrscherhause und zum Vater-
lande zu vernichten, mit allen Mitteln strengster Gesetzgebung entgegenzu-
treten. Wir unterzeichneten Vertretungen deutscher Industrie wagen daher
Euerer Moajestät in tiefster Ehrfurcht die Versicherung auszudrücken, daß
wir in dem Kampfe gegen die ruchlosen Feinde unserer staatlichen und
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXIX. 11