Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 9.—12.) 169
Die Bundesregierungen beschäftigen sich gegenwärtig mit der Prü-
fung des ihnen vom Reichsschatzamt zugegangenen Entwurfs eines neuen
Schemas für den deutschen autonomen Zolltarif. Nahezu 20 Jahre sind
verflossen, seitdem das Zolltarifgesetz vom 15. Juli 1879 in Kraft ge-
treten ist. Das Gesetz enthielt einen Zolltarif mit 43 Unterabteilungen,
die alphabetisch geordnet waren. An dieser Anordnung des Tarifs im all-
gemeinen ist in der Zwischenzeit nichts geändert worden. Im einzelnen
dagegen hat der Entwurf mehrfach Ergänzungen und Aenderungen erfahren.
Namentlich häufig waren die Umgestaltungen einzelner Positionen im An-
fange der achtziger Jahre. So setzte die Novelle vom Jahre 1880 statt
des 1 Mark-Zolles für Flachs die Zollfreiheit, die beiden Novellen vom
Jahre 1881 führten Aenderungen in der Verzollung unbedruckter Tuch-
und Zeugwaren, einen Zoll von 15 ℳ auf Weinbeeren, die Erhöhung des
Zolles für Mühlenfabrikate aus Getreide und Hülsenfrüchten von 2 auf
3 ℳ, die Novelle von 1882 einen Zoll von 30 ℳ für vorgearbeitete Perl-
mutterstücke herbei. Im Jahre 1885 erfolgte eine mehrfache Aenderung
der Zollsätze, vornehmlich die Erhöhung des Zolles für Weizen und Roggen
von 1 auf 3 ℳ. Damals wurde eine vollständige Neuausgabe des Tarifs
mit allen inzwischen erfolgten Aenderungen veranstaltet. Im Jahre 1887
erfolgte dann die weitere Zollerhöhung für Getreide auf 5 ℳ In den
neunziger Jahren wurden zunächst notwendig gewordene Aenderungen des
Zolltarisgesetzes vorgenommen, so 1894 die Aufhebung des Identitätsnach-
weises und 1895 die Einführung besonderer Kampfzölle gegenüber Ländern,
welche Waren deutscher Provenienz schlechter als die anderer Länder be-
handeln. Die letzte Aenderung an dem Zolltarif selbst stammt aus dem
Jahre 1897 und betraf u. a. die Zollsätze für Honig, Speiseöl, Aether,
alkoholartige Parfümerien. Im großen Ganzen hat man in den nahezu
20 Jahren umfassende Aenderungen weder am Tarifgesetz noch am Zoll-
tarif vorgenommen. Wie verlautet, soll nunmehr allerdings der Tarif
wesentlich anders gestaltet werden. Die Interessenten werden seinerzeit zur
Begutachtung des neuen Entwurfs herangezogen werden.
9./10. Oktober. (Kassel.) Parteitag der deutsch-sozialen
Reformpartei.
In der Debatte wird zuerst eine Förderung des Mittelstandes ver-
langt und lebhaft gegen die Vermehrung der großen Warenhäuser polemi-
siert. — Für die preuß. Landtagswahlen wird Wahlenthaltung empfohlen,
wo nicht eigene Parteikandidaten aufgestellt sind oder für die Unterstützung
entsprechende Kompensationen gewährt werden und auch die Bürgschaft vor-
handen ist, daß Abmachungen von der anderen Seite auch gehalten werden,
strengstens Wahlenthaltung zu üben.
9. Oktober. (Preußen.) Die in Breslau abgehaltene Ver-
sammlung der Vertreter von acht Landwirtschaftskammern erklärt
sich für Aufrechterhaltung der Grenzsperre.
12. Oktober. Das Kaiserpaar nimmt an der Leichenfeier
der Prinzessin Albrecht in Kamenz teil und reist nach Venedig
zum Antritt der Orientreise. (Vgl. Italien, Türkei.)
Mitte Oktober. (Preußen.) Der Verein für Sozialpolitik
bittet den Minister der öffentlichen Arbeiten, in bestimmten Bezirken
unter Mitwirkung der Königlichen Eisenbahndirektionen eingehende