Das Deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 6.) 179
ordnung soll der den gewerblichen Arbeitern bereits gewährte Schutz vor
Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit auf die Gehilfen und
Lehrlinge im Handelsgeschäft ausgedehnt und gleichzeitig Mißständen ge-
steuert werden, welche sich namentlich in der Konfektionsindustrie gezeigt
haben. Eine besondere Vorlage schlägt Ihnen vor, die Zulassung von Be-
auftragten zur Vertretung der Parteien im patentamtlichen Verfahren ge-
setzlich zu regeln. Der Terrorismus, durch den Arbeitswillige an der Fort-
setzung oder Annahme von Arbeit gehindert werden, hat einen gemein-
schädlichen Umfang angenommen. Das den Arbeitern gewährleistete Koa-
litionsrecht, welches unangetastet bleiben soll, darf nicht dazu gemißbraucht
werden, das höhere Recht: zu arbeiten und von der Arbeit zu leben, durch
Einschüchterung oder Drohung zu vergewaltigen. Hier die persönliche
Freiheit und Selbstbestimmung nachdrücklichst zu schützen, ist nach Meiner
und Meiner hohen Verbündeten Ueberzeugung die unabweisbare Pflicht der
Staatsgewalt. Hierzu reichen aber die bestehenden Strafvorschriften nicht
aus; sie bedürfen deshalb der Erweiterung und Ergänzung. Diesem Zwecke
entspricht ein Gesetzentwurf zum Schutze des gewerblichen Arbeitverhältnisses,
welchem Sie, wie Ich zuversichtlich erwarte, Ihre Zustimmung nicht ver-
sagen werden. Nach Vorschrift des Bankgesetzes ist bis zum Ablaufe des
nächsten Jahres zu beschließen, ob das Privilegium der Reichsbank von
neuem verlängert werden soll; Sie dürfen entsprechenden Vorschlägen ent-
gegensehen, welche gleichzeitig bestimmt sind, dem Reichsbankinstitute die
Erfüllung seiner finanzpolitischen Aufgaben zu erleichtern, ohne die erprobten
Grundlagen unserer Bankgesetzgebung zu verlassen. Um den Gefahren zu
begegnen, die der Verkehr mit ununtersuchtem, zum menschlichen Genusse
bestimmten Fleische, sei es in- oder ausländischer Herkunft, mit sich bringt,
wird von den verbündeten Regierungen die allgemeine Einführung der
Schlachtvieh- und Fleischbeschau erwogen. Ein diesen Gegenstand regelnder
Gesetzvorschlag wird Sie, wie Ich hoffe, noch in dieser Tagung beschäftigen.
Der in der vorigen Legislaturperiode nicht verabschiedete Gesetzentwurf über
einige Aenderungen auf dem Gebiete des Posttaxwesens und der grundsätz-
lichen Rechte der Post wird in umgearbeiteter und erweiterter Fassung von
neuem Ihrer Beschlußfassung unterliegen. Aus Billigkeitsrücksichten ist
darin eine Entschädigung der durch die Erweiterung des Postzwanges un-
mittelbar Geschädigten vorgesehen; hinzugekommen ist die Neuordnung des
Postzeitungstarifs. Um den breiten Schichten der Mittelklassen, die kein
Girokonto bei der Reichsbank halten können, einen billigen und bequemen
Weg für die Ausgleichung kleinerer Zahlungen zu schaffen, wird beabsichtigt,
ein Check- und Ausgleichungsverfahren durch Vermittelung der Postanstalten
einzurichten. Den Bedürfnissen des mächtig fortschreitenden Fernsprechwesens
soll eine Gesetzesvorlage dienen, die der Telegraphenverwaltung die Be-
nutzung der öffentlichen Wege mehr als bisher sichert. Die Einnahmen
des Reiches haben auch im verflossenen Rechnungsjahre und bis zur Gegen-
wart eine stetig steigende Entwicklung gezeigt. Der Reichshaushaltsplan
sieht neben dem Aufwande für die Aenderungen der Heeresorganisation
reichliche Mittel vor für weitere Verbesserungen der Lage zahlreicher Klassen
von unteren und mittleren Beamten, sowie für die Förderung allgemeiner
wirtschaftlicher Interessen, insbesondere in den Kolonien. Wenn infolge-
dessen zur Herstellung des Gleichgewichts in höherem Maße als in den
letzten Jahren auf Anleihe zurückgegriffen werden muß, so ist doch bei der
ungewöhnlichen Höhe der einmaligen Ausgaben zu erwarten, daß solche in
auch nur annähernd so hohen Beträgen nicht wiederkehren werden und daß
mithin die Notwendigkeit einer stärkeren Anspannung des Kredits nur vor-
übergehend sein wird. Mit Rücksicht auf den bevorstehenden Ablauf des
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