180 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 6.)
zur Zeit für die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres gültigen Gesetzes
werden Ihnen zwei Gesetzesvorlagen zugehen, welche den Zweck verfolgen,
wesentliche Lücken unseres Heerwesens zu beseitigen. Mit dem Anwachsen der
Armee hat die Schaffung der Kommandostellen nicht überall gleichen Schritt
gehalten, und es bedarf an einigen Stellen einer anderweitigen, die Ein-
wirkung der Führer mehr gewährleistenden Gliederung der vorhandenen
Verbände. Auch ist bei einzelnen Waffengattungen, um den im Ernstfalle
zu stellenden Anforderungen und den Fortschritten der Technik gerecht
werden zu können, eine Vervollständigung der Organisation nicht länger
aufschiebbar. Hierbei soll der finanziellen Leistungsfähigkeit des Reichs
durch allmähliche Durchführung der notwendigen Aenderungen Rechnung
getragen werden. Ich vertraue, daß Sie sich von der dringenden Not-
wendigkeit der Vorschläge der verbündeten Regierungen überzeugen und
durch die Bewilligung der erforderlichen Mittel der Armee die Erfüllung
ihrer hohen Aufgabe, ein zuverlässiger Schutz des Friedens und des Vater-
landes zu sein, auch in Zukunft ermöglichen werden. Der Voranschlag für
die Marine ist durch das Flottengesetz vorgezeichnet und hält sich im Rahmen
desselben. Die Beziehungen Deutschlands zu allen auswärtigen Mächten
sind unverändert freundliche. An Meinem Teile mit beizutragen zur Auf-
rechterhaltung und immer größeren Festigung des Weltfriedens ist das
vornehmste Ziel Meiner Politik. Mit warmer Teilnahme habe Ich des-
halb die hochherzige Anregung Meines teueren Freundes, Sr. Majestät des
Kaisers von Rußland, zu dem Zusammentritt einer internationalen Kon-
ferenz begrüßt, welche dem Frieden und der bestehenden Ordnung der Dinge
zu dienen bestimmt ist. Die auf der Konferenz zu Tage tretenden Vor-
schläge, welche jenen edlen Zweck zu fördern geeignet erscheinen, sind von
seiten Meiner Regierung sympathischer Aufnahme gewiß und werden von
ihr sorgfältig geprüft und behandelt werden. Mit tiefem Schmerze und
Abscheu gedenke Ich des fluchwürdigen Verbrechens, das Meinem treuen
Bundesgenossen, Seiner Majestät dem Kaiser und Könige Franz Josef, die
erlauchte Gemahlin jäh entrissen hat. Die ruchlose That, die ganz Deutsch-
land, Fürsten und Volk, andauernd mit innigem Mitgefühl erfüllt, hat
der Regierung Seiner Majestät des Königs von Italien eine Beratung
wirksamer Maßregeln gegen die anarchistische Propaganda geboten erscheinen
lassen und ihr Veranlassung zur Einberufung einer Konferenz gegeben. Die
Bereitwilligkeit, mit welcher dieser dankenswerten Einladung allerseits ent-
sprochen worden ist, berechtigt zu der Zuversicht, daß ein richtiges Gleich-
maß zwischen Rechten und Pflichten als unerläßliches Erfordernis für die
gedeihliche Entwicklung der internationalen Beziehungen nicht nur theoretisch
von neuem anerkant, sondern auch durch praktisch brauchbare Schlußfolge-
rungen bethätigt werden wird. Den aus unserer Neutralität im spanisch-
amerikanischen Kriege sich ergebenden völkerrechtlichen Pflichten ist Deutsch-
land gewissenhaft und loyal nach beiden Seiten hin gerecht geworden. Die
deutschen Kolonien befinden sich in gedeihlicher Entwicklung. Den ruhe-
störenden Unternehmungen feindlicher Stämme sind Meine Schutztruppen
in Ost- und Westafrika siegreich begegnet. Mit der Neu-Guinea-Kompanie
ist wegen Uebernahme ihres Schutzgebiets auf das Reich ein Vertrag ab-
geschlossen worden, welcher Ihnen zur Genehmigung vorgelegt werden wird.
In Kiautschou sind die ersten Schritte zur wirtschaftlichen Entwicklung des
Schutzgebiets gethan. Die Grenze ist im Einvernehmen mit der chinesischen
Regierung endgültig festgesetzt, der Freihafen ist eröffnet worden, die
Hafenbauten sind in Angriff genommen und der Beginn des Eisenbahn-
baues nach dem Hinterlande steht für die nächste Zukunft bevor. Gestützt
auf die bestehenden älteren Verträge, wie auf die durch den deutsch-chinesi-