Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 21.) 193
stirbt auf der Zunge, denn die peinliche Wahrheit legt sich dazwischen: es
war alles Kinderspiel, was die Dänen damals gethan haben, und was den
sittlichen Zorn des damaligen deutschen Volkes erregte gegen die Gewalt-
samkeit, mit der wir heute selber jene Landschaft regieren. Und noch schlimmer
als die Brutalität, die uns zum Abscheu der gebildeten Welt macht, ist die
Verblendung, die da glaubt, mit solchen Mitteln im Kampfe der Nationa-
litäten dauernde Erfolge erzielen zu können. Es ist mit der nationalen
Gesinnung wie mit der Religion: hinter den wahrhaft frommen erheben
sich sofort die greulichen Pfaffen, Ketzerriecher und Inquisitionsrichter, um
im Namen des Heiligen ihre Schändlichkeiten zu verüben. So hat auch die
nationale Gesinnung bei uns hier und dort einen nationalen Fanatismus
erzeugt, der wild und verstockt glaubt, die Gesetze der Menschlichkeit mit
Füßen treten zu dürfen, und dem nationalen Gedanken, dem er zu dienen
vermeint, unüberwindlichen Schaden zufügt.“
Diese Stelle findet sich in der politischen Korrespondenz der „Preuß.
Jahrbücher,“ in der der Verfasser die auswärtige Politik als wahrhaft
nationale Großmachtspolitik charakterisiert, mit der die innere scharf kon-
trastiere.
Die Angelegenheit wird in der Presse lebhaft diskutiert. Dem Vor-
gehen der Regierung stimmen zu „Hamb. Nachr.“, „Kreuz-Ztg.", „Schles.
Ztg.“, „Berl. Neueste Nachr.“, „Rhein-Westf. Ztg.“ — Die gesamte Presse
der Linken und des Zentrums, die meisten mittelparteilichen und einige konser-
vative Blätter, die die Aeußerungen Delbrücks scharf bekämpfen, erklären das
Disziplinarverfahren für ungerechtfertigt oder unzweckmäßig.
21. Dezember. (Preußen.) Der Kaiser übernimmt das
Protektorat über den Preußischen Kriegerlandesverband durch fol-
genden Erlaß:
Aus Ihrem Berichte vom 2. November d. J. habe Ich mit Befrie-
digung ersehen, daß die preußischen Kriegervereine sich zu einem Landes-
verbande zusammengeschlossen haben, um in enger Gemeinschaft mit den
übrigen Landesverbänden Deutschlands die Interessen ihrer einzelnen Glieder
in kameradschaftlichem Geiste zu fördern. Nachdem Ich durch den bei-
folgenden Erlaß vom heutigen Tage die Satzungen genehmigt und die
Wahlen des Ersten Vorsitzenden und seiner beiden Stellvertreter bestätigt
habe, will Ich auch dem Mir kundgegebenen Wunsche der Kriegerverbände
entsprechen und das Protektorat über den preußischen Landes-Kriegerverband
hiermit in Gnaden annehmen. Ich thue es in dem Vertrauen, daß die
Vereine in der Pflege unverbrüchlicher Treue gegen König und Vaterland
stets ihre vornehmste Aufgabe erblicken werden, und wünsche, daß die
Kriegervereine auf dieser Grundlage sich kräftig weiterentwickeln und ihrem
Ziel, alle ehemaligen Angehörigen Meiner Armee und Marine unter ihrer
Fahne zu sammeln, immer näher kommen mögen. Möge vor allem das
Vorbild der alten Krieger, denen es vergönnt war, die ihrem obersten
Kriegsherrn, weiland Sr. Majestät dem Hochseligen Kaiser und Könige
Wilhelm dem Großen, im Fahneneide gelobte Tapferkeit und Treue bis
zum Tode auf dem Felde der Ehre zu bewähren, ihren jüngeren Kameraden
allezeit ein Ansporn sein, ihnen in Bethätigung aller soldatischen Tugenden
auch im bürgerlichen Leben nachzueifern und sich die patriotische Gesinnung
von niemandem nehmen zu lassen.
Potsdam, den 21. Dezember 1898.
Wilhelm R.
An den Minister des Innern. Freiherr von der Recke.
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXIX. 13