Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

228 Bie Geslerreichisc-Auserische Monarchie. (Sept. 30.—Okt. 8.) 
Sozialdemokraten, daß sie die Obstruktion gegen den Ausgleich 
aufgeben. Allein die Deutsch-Nationalen beharren bei der Ob- 
struktion. 
30. September. (Wien.) Abgeordnetenhaus. Niederlage 
der Regierung. 
Die deutschen Großgrundbefitzer beantragen, die Regierung solle die 
Abmachungen mit Ungarn über den Ausgleich bekanntgeben. Minister- 
präsident Graf Thun lehnt es ab, er sei hierüber einig mit der Mehrheit 
des Hauses. Der Ministerpräsident wird von der Opposition heftig ange- 
griffen, so sagt Lueger cchristl. soz.): Die Opposition müsse mit Zurück- 
stellung aller sonstigen Zwistigkeiten mit vereinigten Kräften auf den Sturz 
des „Ministeriums der Frivolität“ hinarbeiten. Die vorgelegten Ausgleichs- 
gesetze find Verrat an unserem Vaterlande. Bleiben wir einig, dann wird 
aus dieser Komödie eine Tragödie werden, aber nicht für Oesterreich, sondern 
für Thun, der dann nach Tschechien nach Hause geschickt werden wird. — 
Für den Antrag stimmen sodann 172, dagegen 162 Abgeordnete, außer den 
Deutschen und Christlich-Sozialen die Italiener, Sozialdemokraten und die 
poln. Volkspartei. Da der Antrag nicht die Zweidrittel-Majorität erlangt 
hat, ist er abgelehnt; die Opposition betrachtet den Ausfall aber als mo- 
ralische Niederlage Thuns, da die Regierung keine zuverlässige Mehrheit 
mehr habe. 
"4. Oktober. (Cisleithanien.) Der Handelsminister Dr. Bärn- 
reither, der dem verfassungstreuen Großgrundbesitz angehört, tritt 
zurück. Sein Nachfolger wird Dr. Dipauli, Mitglied der katho- 
lischen Volkspartei. 
6. Oktober. (Wien.) Das Abgeordnetenhaus verweist die 
Ausgleichsvorlagen an eine Kommission von 48 Mitgliedern. In 
der Debatte wird der Finanzminister Kaizl (Tscheche) von dem 
Deutschen Fournier scharf angegriffen, weil er jetzt das vertrete, 
was er als Abgeordneter heftig bekämpft habe. 
6. Oktober. (Wien.) Die österreichische Quotendeputation 
beschließt, auf der Forderung, daß Ungarn 38 Prozent beisteuern 
solle, zu bestehen. 
6. Oktober. (Pest.) Die Unabhängigkeitspartei faßt folgen- 
den Beschluß gegen den Ausgleich: 
Da die Regierung die klaren Bestimmungen unserer Gesetze verletzt 
und das Zoll= und Handelsbündnis mit Oesterreich sowie die gemeinsame 
Bank um jeden Preis zum Schaden des Vaterlandes aufrecht erhalten will, 
erachtet es die Partei als ihre patriotische Pflicht, gegenüber den mit der 
Selbständigkeit des Vaterlandes in Widerspruch stehenden Entwürfen mit 
ganzer Kraft zu kämpfen und ermächtigt die Mitglieder, mit allen Kräften 
und mit Anwendung aller gesetzlichen parlamentarischen Mittel die Gesetz- 
werdung des Ausgleichs zu verhindern. — Im Parlament übt die Oppo- 
sition Obstruktion gegen den Ausgleich. 
8. Oktober. (Böhmen.) Die Beschwerde deutscher Haus- 
besitzer in Prag gegen das Verbot der dortigen Stadtgemeinde, an
	        
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