Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Die Oesterreithisch- Angarische Monarchhie. (November 29.) 231 
Auf eine Interpellation der Abgg. Jaworski (Pole) und Engel 
(Tsch.) erklärt Graf Thun, es müsse als ein unbestrittenes Recht eines 
jeden Staates anerkannt werden, fremde Elemente, deren Aufenthalt in 
seinem Gebiete im öffentlichen Interesse nicht erwünscht sein könne, in 
seinem Territorium nicht zuzulassen, oder schon Niedergelassene wieder aus- 
zuweisen. Dieses Recht stelle sich als ein Ausfluß der staatlichen Souve- 
ränetät dar und habe auch in der österreichischen Gesetzgebung klaren Aus- 
druck gefunden. Allerdings dürfe dieses Recht nicht in der Weise gehandhabt 
werden, daß gewissermaßen ganze Kategorieen und Klassen der Bevölkerung 
eines fremden Staates als solche vou der Niederlassung schlechtweg ausge- 
schlossen würden. Einen derartigen Charakter aber, daß sie etwa einer Ver- 
leugnung der völkerrechtlichen Grundsätze über die internationale Verkehrs- 
freiheit gleichkämen, und daß in weiterer Folge unter diesem Gesichtspunkte 
dagegen aufgetreten werden könnte, hätten nach den bisher gemachten Wahr- 
nehmungen und angestellten Erhebungen die Ausweisungen österreichischer 
Staatsbürger aus Preußen bezw. Deutschland nicht, wenngleich zugegeben 
werden müsse, daß die preußischen Regierungsbehörden von ihrer Macht- 
befugnis, bedenkliche oder anstößige Elemente auszuweisen, in letzter Zeit 
einen thatsächlich umfangreicheren Gebranch gemacht hätten, als dies in 
früheren Perioden der Fall gewesen sein möge. Wenn durch dieses Vorgehen 
in größerem Maßstabe gerade österreichische Staatsangehörige böhmischer 
und polnischer Nationalität getroffen wurden, so erkläre sich dies damit, 
daß infolge der lokalen Nachbarschaft gerade die österreichischen Staatsan- 
gehörigen flavischer Zunge das Hauptkontingent jener österreichischen Staats- 
angehörigen ausmachten, die in den preußischen Grenzprovinzen auf Verdienst 
und Erwerb ausgehen, und welche am häufigsten von der Ausweisung be- 
troffen werden, da sie sich meist in wirtschaftlich wenig gesicherter Stellung 
befänden. Weitaus der größte Teil der von der Ausweisung aus Preußen 
bisher betroffenen österreichischen Unterthanen gehöre der Klasse der land- 
wirtschaftlichen Hilfsarbeiter an. Diese würden naturgemäß entbehrlich 
und demzufolge aus Arbeit und Verdienst entlassen, sobald die landwirt- 
schaftlichen Arbeiten ihren Jahresabschluß gefunden hätten. Gelinge es 
ihnen nicht, nach Entlassung aus diesem Arbeitsverhältnisse anderweitige 
Beschäftigung zu finden, was wohl immer mit großen Schwierigkeiten ver- 
bunden sei, daß sie, abgesehen von der Konkurrenz im Angebote, in der 
Regel eine für ein Gewerbe oder eine Industrie geforderte Befähigung nicht 
besitzen, so treten sie in die Reihe von Arbeitslosen und verfielen als solche 
der polizeilichen Behandlung, wie dies analog auch im Inlande der 
Fall sei. Wenn nun auch trotz der unleugbaren Schärfe, mit welcher das 
Ausweisungsverfahren in Preußen gehandhabt werde, eine flagrante Ver- 
letzung der völkerrechtlichen Grundsätze oder besonderer vertragsmäßiger 
Rechte nicht behauptet werden könne, so habe sich gleichwohl das auswärtige 
Amt, insbesondere im Hinblick auf die empfindlichen Rückwirkungen, welche 
die preußischerseits befolgte Fremdenpolitik auf einzelne wirtschaftliche Exi- 
stenzen auszuüben geeignet sei, bei der kaiserlich deutschen Regierung wieder- 
holt und nachdrücklich bemüht, daß bei Ausweisungen österreichischer Staats- 
angehöriger von preußischer Seite mit thunlichster individueller Unterscheidung 
und Rücksichtnahme auf die jeweiligen persönlichen Verhältnisse der Auszu- 
weisenden vorgegangen werde; insbesondere aber in jenen einzelnen Fällen, 
in welchen um Vermittelung der österreichischen Vertretungsbehörden nach- 
gesucht wurde, seien dieselben immer, und oft erfolgreich, darauf bedacht 
gewesen, alle jene Gesichtspunkte, welche im konkreten Fall irgendwie berück- 
sichtigenswert erscheinen konnten, der thunlichsten Würdigung seitens der 
preußischen Behörden zu empfehlen und dahin zu wirken, daß die in den
	        
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