16 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.)
weiblichen Beamten in Amerika wahrscheinlich daran liegt, daß das be-
kanntlich nicht dauernd angestellte Beamte sind, sondern Funktionäre, welche
bei jeder Präsidentenwahl aus politischen Gründen wechseln und sich infolge
dessen, wie es scheint, nicht genügend einarbeiten können. Ich glaube aber,
meine Herren, es ist doch richtig, wenn die Reichsregierung ihrerseits zur
Zeit keine Schritte in der angegebenen Richtung thut, sondern wenn man
es den Einzelstaaten überläßt, selbst erst auf diesem noch zweifelhaften Ge-
biet Erfahrungen zu sammeln.
Nach weiterer Debatte werden die Anträge über das Koalitionsrecht
bis zur dritten Lesung zurückgestellt, dagegen folgende Anträge des Zentrums
angenommen: den Reichskanzler zu ersuchen 1) bis zur nächsten Session dem
Reichstage eine Zusammenstellung der auf Grund des § 105e der Gewerbe-
ordnung für Betriebe mit Wind und unregelmäßiger Wasserkraft getroffenen
Verfügungen und Entscheidungen vorzulegen; 2) eine eingehendere Bericht-
erstattung über die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken: Umfang,
Gründe und Gefahren der Beschäftigung, Möglichkeit, Zweckmäßigkeit und
Wege der Beschränkung u. s. w. — in den nächsten Jahresberichten der
Gewerbe-Ausfsichtsbeamten zu veranlassen.
20. Januar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Erste Be-
ratung des Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Gesetzes vom
26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen
in den Provinzen Westpreußen und Posen. Vgl. Jahrg. 1886.
Die Regierung fordert einen neuen Fond von 100 Millionen Mark.
— Reichskanzler und Präsident des Staatsministeriums Fürst zu Hohen-
lohe: Meine Herren! Wenn die Staatsregierung den heute Ihrer Ge-
nehmigung unterstellten Gesetzentwurf eingebracht hat, so ist sie dabei so-
wohl von wirtschaftlichen, wie von politischen Erwägungen ausgegangen.
In wirtschaftlicher Beziehung hält die Regierung an dem Grundsatze fest,
daß es für die Wohlfahrt der Provinzen Posen und Westpreußen förder-
lich ist, die Zahl der selbständigen Bauerngüter und Bauerndörfer zu ver-
mehren. Wenn sich aus und neben den angesetzten Bauern eine Klasse
tüchtiger ländlicher Arbeiter entwickelt, so wird damit ein Vorteil erreicht,
der auch dem Großgrundbesitz, sei er deutsch, sei er polnisch, zu gute kommen
wird. Was die politische Seite der Frage betrifft, so ist es eine That-
sache, daß in jenen national gemischten Landesteilen die polnische Natio-
nalität sich mehr und mehr auf Kosten der deutschen sich ausbreitet. Dieser
Entwickelung entgegenzutreten und das Deutschtum zu stärken, ist Zweck
dieses Gesetzes. Daß wir dabei von keiner feindlichen Tendenz gegen die
polnische Bevölkerung geleitet werden (Heiterkeit bei den Polen), ist selbst-
verständlich. Die ganze geschichtliche Entwickelung der ehemals polnischen
Landesteile, der materielle und geistige Aufschwung, den sie seit der Ver-
einigung mit Preußen genommen haben, gibt Zeugnis von der Fürsorge
der preußischen Regierung in allen Phasen des Bestehens dieser Verbindung.
Dafür müssen wir aber auch an die Polen die Forderung stellen, daß sie
ihre Pflichten als Preußen erfüllen (Zuruf bei den Polen: Thun wir!),
sich als treue Unterthanen des Königs betrachten und fühlen. Ich weiß,
daß es nicht wenige Polen gibt, die auch jetzt schon von solcher Gesinnung
durchdrungen sind. Andererseits sind jedoch auf polnischer Seite leider
auch starke Bestrebungen bemerkbar, welche darauf gerichtet sind, Feindschaft
gegen die Deutschen zu erregen. Solchen Bestrebungen, einer solchen Pro-
paganda treten wir entgegen; denn dadurch werden unmögliche Zustände
geschaffen, die eine Gefahr für Deutsche wie für Polen bedeuten. Noch