Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

232 Sie Gesterreichish-Anserische Menarhie. (Dezember 2. - 6.) 
Ausweisungsmaßregeln liegenden Härten möglichste Milderung erführen. 
Allerdings sei den österreichischen Vertretungsbehörden die Möglichkeit ver- 
sagt gewesen, in jenen Fällen irgendwelche Schritte zu gunsten der Ans- 
gewiesenen zu unternehmen, in welchen die letzteren sich dem Ausweisungs- 
erkenntnis fügten, ohne die Intervention der österreichischen Vertretungs- 
behörde in Anspruch genommen zu haben. Die bereitwilligen Zusicherungen, 
welche dem diesseitigen Ministerium des Auswärtigen von dem Berliner 
Kabinett noch erst in jüngster Zeit zugekommen wären, ließen hoffen, daß 
das jetzige Verhalten der preußischen Behörden, sofern es die Ausweisung 
österreichischer Unterthanen betreffe, mit jenen Rücksichten in Einklang ge- 
bracht werde, welche Oesterreich für seine Staatsangehörigen beanspruchen 
könne. Sollte sich jedoch diese Erwartung fortan nicht erfüllen, und sollte 
insbesondere in der Ausweisung österreichischer Unterthanen entweder eine 
Kränkung derselben im Genusse ihrer völkerrechtlichen oder vertragsmäßigen 
Ansprüche erkannt werden, oder sollte endlich den Ausweisungen nicht mehr 
der Charakter einer gegen einzelne Individuen wirksamen Polizeimaßnahme 
zukommen, so wolle das Haus in diesem Falle die bündige Versicherung 
von ihm, dem Grafen Thun, entgegennehmen, daß er, und zwar in dieser 
Hinsicht in vollem Einvernehmen mit der gemeinsamen Regierung, nicht 
zögern werde, die Rechte der österreichischen Unterthanen mit vollem Nach- 
drucke zu wahren, eventuell den Grundsätzen der Reziprozität entsprechende 
Maßregeln anzuwenden. (Lebhafter Beifall rechts.) 
Die Rede Thuns wird von den deutschen Parteien und von den 
Magyaren scharf kritisiert, weil sie den Dreibund gefährde; die Tschechen 
und Polen stimmen ihr zu. 
2. Dezember. Feier des 50jährigen Regierungsjubiläums 
des Kaisers Franz Joseph. 
Der Tag wird wegen der Trauer ohne festliches Gepränge begangen. 
Der Kaiser erläßt eine Amnestie für Verbrechen der Majestätsbeleidigung 
oder der Beleidigung von Mitgliedern des kaiserlichen Hauses, die bis zum 
2. Dezember d. J. begangen find, und erläßt 548 anderen Sträflingen den 
Rest der Freiheitsstrafe. — Die Parlamente erlassen eine Huldigungs- 
kundgebung, Wien illuminiert. — Es werden 4404 Auszeichnungen ver- 
liehen, so wird der frühere Präsident des Abgeordnetenhauses, Abrahamo- 
witsch, zum Geheimrat ernannt. — Der deutsch-fortschrittliche Abgeordnete 
Dr. Menger weist aus nationalen und politischen Gründen den ihm zu- 
gedachten Orden der Eisernen Krone ab. 
5. Dezember. (Pest.) Der Minister für Kroatien, Josepo- 
wich, tritt zurück, weil er Banffys Vorgehen in der Ausgleichs- 
frage für verfassungswidrig hält. 
6. Dezember. (Wien.) Abgeordnetenhaus. Budget. Abg. 
Groß über Thuns Rede vom 29. November. 
Der Finanzminister legt das Budget für 1899 vor. Nach demselben 
sind die gesamten Staatsausgaben auf 760 286 793 fl., die gesamten Ein- 
nahmen auf 760754 834 fl. veranschlagt. Der Ueberschuß beträgt demnach 
468041 fl., d. h. um 119113 fl. mehr als im Vorjahr. Die Steigerung 
der Einnahmen in 1899 beträgt 40212432 fl., woran das Finanzministerium 
mit 30964 946 fl. beteiligt ist, nämlich an direkten Steuern mit 4173800 fl., 
an indirekten Steuern mit 12305010 fl. Zur Deckung der Beamten- 
gehälter sind die Gebarungsüberschüsse vom Jahre 1897 mit 10200000 fl.
	        
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