Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 17
immer wird mit Gedanken gespielt und werden Hoffnungen erregt, die sich
nicht verwirklichen können, seien es Hoffnungen auf Trennung der ehemals
polnischen Landesteile von Preußen, seien es Hoffnungen auf größere Selb-
ständigkeit, das heißt auf eine Art föderative Verbindung mit Preußen.
Für föderative Tendenzen gibt es aber in Preußen keinen Boden, und wird
niemals ein Boden sein (Sehr gut!). Eine Trennung der Provinz Posen
von Preußen oder auch nur eine Lockerung ihres Verhältnisses zu Preußen
würde die Existenz des Staats bedrohen. Wir können und werden die
Provinz Posen niemals wieder aufgeben. Fürst Bismarck hatte Recht,
wenn er seiner Zeit sagte: „Wir müssen uns den Weg von Königsberg
nach Breslau freihalten“ (Bravo!). Ist dem aber so, so liegt es doch auch
im Interesse der polnischen Bevölkerung, sich die Lage, in der sie sich be-
findet, zu einer guten und friedlichen zu gestalten. Das ist nur zu er-
reichen, wenn die deutsch-feindlichen Tendenzen, die jetzt noch vielfach inner-
halb der polnischen Bevölkerung gepflegt werden, gänzlich verschwinden.
Dann wird auch jegliche polen-feindliche Stimmung auf deutscher Seite von
selbst aufhören. Meine Herren, ich gestehe, daß ich nur ungern den Polen
diese Wahrheiten sage. Ich habe zu verschiedenen Zeiten in Polen gelebt
und stehe mit manchen Polen in freundschaftlicher, mit einigen in verwandt-
schaftlicher Beziehung. Derartige Beziehungen können mir aber nicht die
Augen verschließen gegen die Gefahren, welche die polnische Propaganda
für die preußische Monarchie in sich birgt. Wo die Interessen der preußi-
schen Monarchie in Frage kommen, kenne ich kein Kompromiß (Bravo!).
Zum Schluß möchte ich die Polen an das Wort des französischen Dichters
erinnern: „quittez le long espoir et la vaste pensée!“ Thun die Polen
das, entschlagen sie sich unerfüllbarer Hoffnungen, werden oder bleiben sie
ehrliche Preußen, so werden wir uns mit ihnen verständigen und friedlich
zusammenleben (Bravo!).
Abg. v. Jazdziewski (Pole): Bei der Einbringung und legis-
latorischen Behandlung des Gesetzes vom 26. April 1886 hat die polnische
Fraktion des Abgeordnetenhauses einen entschiedenen Protest dagegen er-
hoben, und wir haben denselben unter Hinweis auf unsere verbrieften und
natürlichen Rechte und die königlichen Verheißungen unter anderen damit
begründet, daß dieses Gesetz einerseits, vom staatsrechtlichen Standpunkt
betrachtet, in Widerspruch stehe mit den Art. 4 und 99 der preußischen Ver-
fassung und ebenso mit dem Art. 3 der deutschen Reichsverfassung, sowie
mit dem damit im Zusammenhang stehenden Reichsgesetz vom 1. November
1867, andererseits aber eine politische und bürgerliche Beschränkung der
Rechtsfähigkeit einer großen Anzahl von Staatsangehörigen bewirke, eine
zielbewußte Germanisierung und Protestantisierung unserer einheimischen
polnischen Bevölkerung herbeizuführen geeignet sei und infolge der recht-
lichen und wirtschaftlichen Benachteiligung derselben die nationalen und
religiösen Gegensätze verschärfe und vertiefe. Wir halten auch heute an
unseren damaligen Anschauungen fest. Die Erfolge der getroffenen gesetz-
lichen Maßregel haben im Laufe der Zeit bewiesen, daß durch die Hand-
habung und Ausführung derselben der soziale Frieden, das gegenseitige
Vertrauen und Zusammenleben unter den Angehörigen verschiedener Natio-
nalitäten in einem sehr bedenklichen Maße beeinträchtigt und gefährdet
worden ist, die Auswanderung der von der väterlichen Scholle vertriebenen
polnischen Bevölkerung in einer geradezu erschreckenden Weise gefördert, die
Mißstimmung, Unzufriedenheit und Verbitterung gesteigert und das An-
sehen der Staatsautorität und das Vertrauen zu derselben vielfach unter-
graben worden ist. In Anbetracht dieser betrübenden thatsächlichen Zu-
stände haben wir im Interesse beider Nationalitäten und im wohlver-
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXIX. 2