Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

18 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 
standenen Staatsinteresse durch Einbringung und Begründung dement- 
sprechender Anträge Jahr aus Jahr ein die Regierung zu bewegen gesucht, 
ein in der Leidenschaft des Augenblicks verfaßtes Kampfgesetz in zuständiger 
Weise zu beseitigen, um dadurch friedlichere Verhältnisse in unserer Heimat 
anzubahnen. Die Staatsregierung beantwortet nunmehr unsere durchaus 
ernstgemeinte und loyale Aufforderung mit der Einbringung eines Gesetz- 
entwurfs zur Verstärkung der ihr zur Verfügung gestellten Fonds, zu 
welchen auch wir beitragen müssen, um neue 100 Millionen Mark, be- 
schuldigt dabei unsere gesamte polnische Bevölkerung des Friedensbruches 
und beweist dadurch und durch die sonstige Handhabung ihrer Regierungs- 
gewalt, daß wir nicht einer landesväterlichen Regierung gegenüberstehen, 
sondern einem Regiment, welches durch eine weitere Förderung des Ger- 
manisationswerkes, durch Fortsetzung und Festlegung auf unabsehbare Zeit 
eines nach unserem Dafürhalten mit der Verfassung nicht vereinbaren Sy- 
stems und durch Verschärfung der Partei- und Nationalitätsgegensätze die- 
jenigen rechtlichen und sittlichen Grundsätze außer Acht läßt, an welche in 
einem geordneten Staatswesen und in einem Kulturstaat jede wohlwollende 
Regierung pflichtmäßig gebunden ist. Unter solchen Umständen und Ver- 
hältnissen erneuern wir hiermit ausdrücklich und feierlich unseren Protest 
gegen die formelle und materielle Berechtigung des Gesetzes vom 26. April 
1886, welches nach unserem Dafürhalten mit den Verfassungsbestimmungen 
nicht in Einklang zu bringen ist, erheben Protest gegen die beabsichtigte 
Verschärfung seiner Bestimmungen durch Zuwendung neuer Staatsfonds 
und werden uns, wenn uns nicht eine besondere Veranlassung dazu zwingt, 
an der Beratung dieser Regierungsvorlage nicht beteiligen. 
Abg. v. Heydebrand u. d. Lasa (kons.): Die Vorlage enthalte 
keine differentielle Behandlung der Katholiken und Protestanten, wie be- 
hauptet worden sei. Wo aber Katholiken herangezogen worden sind zur 
Ansiedelung, sei nicht bloß jetzt, sondern auch schon früher die Erfahrung 
gemacht, daß die Katholiken ihr Deutschtum nicht aufrecht erhalten konnten. 
Die Ansiedlung deutscher Kolonisten in den polnischen Teilen sei eine hohe 
Kulturthat und keine Vergewaltigung der Polen, da niemand expropriiert 
werde. Abg. Innvalle (Z.): Die Vorlage ist eine decapitatio des Polen- 
tums, eine Verletzung der Reichsverfassung und der preußischen Verfassung, 
wo alle Reichsangehörigen überall im Deutschen Reiche gleichberechtigt sein 
sollen. Die Ausführung des Gesetzes hat bestätigt, was Windthorst voraus- 
gesagt, daß dasselbe nur beitragen solle zur Protestantisierung der polni- 
schen Landesteile, wodurch die Parität, die in Preußen Geltung haben soll, 
verletzt wird. Die kulturelle Arbeit ist allerdings gefördert worden; es 
sind neue Bauernstellen an der Stelle devastierter Güter geschaffen. Aber 
warum macht man dasselbe Experiment nicht auch in anderen Provinzen? 
Landwirtschaftsminister v. Hammerstein wendet sich gegen die Erklärung 
Jazdziewskis. Die Ausführung des Gesetzes geschah lediglich im Interesse 
der kulturellen Entwicklung der polnischen Bevölkerung. Denn vor der 
preußischen Herrschaft war die Kultur der polnischen Bevölkerung sehr 
niedrig. Die Hebung der Kultur in den polnischen Landesteilen ist auf 
die Einflüsse des Deutschtums zurückzuführen, die gestärkt sind durch die 
Ansiedlungsgesetzgebung. Mit Entrüstung muß ich aber die Behauptung 
zurückweisen, daß von einem landesväterlichen Regimente nicht mehr die 
Rede sein könne ..... Von einer Ausrottung des Polentums ist keine 
Rede; der Staatsregierung liegt nichts ferner als dieses; sie verlangt von 
den Polen nur, daß sie preußische Unterthanen werden, was sie bisher ab- 
gelehnt haben. Auch gegen die Katholiken richtet sich die Vorlage nicht. 
Die Haltung der katholischen Partei erschwert es, die Versorgung der
	        
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