20 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 24.)
Schmidt (nl.) 6667, Lucke (Bauernbund) 3647, Dr. Jaeger (Z.)
3582 und Ehrhardt (Soz.) 839 Stimmen. In der Stichwahl am
28. Januar wird Schmidt mit 8851 Stimmen gegen Lucke (7846)
gewählt.
24. Januar. (Reichstag.) Budgetkommission. Erklärungen
der Regierung über die Dreyfusfrage und die Beziehungen zu
China.
Abg. Richter (fr. Vp.) fragt wegen der Dreyfussache an. Staats-
sekretär v. Bülow: Sie werden es verstehen, wenn ich auf das Thema nur
mit großer Vorsicht eingehe. Das Gegenteil könnte uns als Einmischung
in innere französische Verhältnisse ausgelegt werden. Ich beschränke mich
darauf, auf das allerbestimmteste zu erklären, daß zwischen dem gegenwärtig
auf der Teufelsinsel befindlichen französischen Exkapitän Dreyfus und irgend
welchen deutschen Organen Beziehungen oder Verbindungen irgend welcher
Art niemals bestanden haben. Die Namen Walsin Esterhazy und Picquart
habe ich vor drei Wochen zum erstenmal in meinem Leben gehört. Die
Geschichte von dem angeblich in einem Papierkorbe gefundenen Briefe eines
mysteriösen Agenten existiert natürlich nur in der Phantasie und hat in
Wirklichkeit nie stattgefunden. Ich möchte endlich mit Befriedigung kon-
statieren, daß die sogenannte Dreyfussache zwar viel Staub aufgewirbelt
hat, aber die zwischen Deutschland und Frankreich bestehenden gleichmäßig
ruhigen Beziehungen nicht zu stören vermochte.
Bei der Gesandtschaft in Peking gibt Staatssekretär v. Bülow auf
Anfrage des Referenten Prinz Arenberg Auskunft über unsere Bezieh-
ungen zu China: Der bisherige Gouverneur der Provinz Schantung, Li-
Ping-Chang, ist abgesetzt und ihm die Befähigung abgesprochen worden,
je wieder ein Staatsamt zu bekleiden. Ferner sollen sechs von uns be-
zeichnete obere Beamte aus der Provinz versetzt und bestraft werden. Gegen
die am Morde selbst beteiligten Verbrecher ist das Strafverfahren im Gange.
Für den der katholischen Mission und ihren Angehörigen erwachsenen
Schaden verspricht die chinesische Regierung die von der Mission geforderte
volle Entschädigung in Höhe von 3000 Taels zu zahlen. Zur Sühne des
Todes der Missionare sollen drei Kirchen errichtet und mit einer kaiserlichen
Schutztafel versehen werden, und zwar eine von der Mission bereits be-
gonnene Kirche in Thing, eine in der Stadt Tsaoschoufu und eine am Orte
des Mordes selbst. Die chinesische Regierung verpflichtet sich, für jede Kirche
66 000 Taels anzuweisen, für die beiden Kirchen in Tsaotschoufu und am
Orte der That außerdem freie Bauplätze zu gewähren. Ferner werden zum
Bau von sieben sicheren Wohnhäusern für die katholische Mission in der
Präfektur Tsaotschoufu 24000 Taels angewiesen. Alle diese Zahlungen
erfolgen durch Vermittlung der deutschen Gesandtschaft in Peking, um die
Missionare vor Reibungen mit den chinesischen Behörden zu bewahren.
Zum Schutze unserer Missionare wird von der chinesischen Regierung ein
besonderes Edikt veröffentlicht werden; die deutsche Vertretung in China
wird die genaue Ausführung sorgfältig überwachen. Die beste Bürgschaft
erblicken wir aber in der dauernden Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe und
der deutschen Besatzung in der Kiaotschoubucht, durch welche die Macht des
Deutschen Reiches den chinesischen Lokal- und Provinzialbehörden sowie der
Bevölkerung ständig und sichtbar gezeigt wird, die hoffentlich nicht wieder
vergessen werden, daß kein gegen einen Reichsangehörigen begangenes Un-
recht ungesühnt bleibt.