Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

320 Rußland. (März 27.) 
In letzter Zeit find aus Söul Nachrichten eingetroffen, welche auf 
die Entstehung einer politischen Gärung in Korea, wie inmitten der Re- 
gierung so auch im koreanischen Volke hinweisen. Unter den Staatsmännern 
hat sich eine Partei gebildet, welche gegen die Ausländer überhaupt feind- 
lich gesinnt ist und welche offen erklärte, Korea hat bereits den Weg zur 
Selbständigkeit betreten, deswegen bedarf seine Regierung in Sachen der 
inneren Verwaltung keiner Hilfe vom Auslande mehr. Diese Umstände 
haben die Thätigkeit der auf die dringende Bitte des koreanischen Kaisers 
Li und seiner Regierung nach Söul gesandten russischen Instrukteure und 
Finanzräte äußerst erschwert, welche allen der regelrechten gewissenhaften 
Ausführung der ihnen auferlegten Pflichten entgegengesetzten Hindernissen 
begegneten. Eine solche Lage der Dinge konnte den guten Absichten Ruß- 
lands nicht entsprechen. — Angesichts dessen wurde unser Vertreter in Söul 
auf allerhöchsten Befehl beauftragt, sowohl den Kaiser persönlich, als auch 
seine Regierung zu befragen: Erkennen Sie unsere fernere Hilfe, wie Be- 
schützung des Palais, Instrukteure in der Armee, den Rat in der Finanz- 
verwaltung als notwendig? Auf diese Anfrage wurde dem russischen 
Geschäftsträger in Söul geantwortet, daß die koreanische Regierung, indem 
sie dem Zaren ihren tiefgefühlten Dank für die Korea rechtzeitig erwiesene 
Hilfe ausspricht, doch finde, daß das Land jetzt schon ohne Unterstützung 
in militärischen und finanziellen Angelegenheiten auskommen könne und daß 
der Kaiser von Korea, um dem Zaren seinen besonderen Dank auszudrücken, 
die Erlaubnis erbitte, einen Sonder-Gesandten nach Petersburg zu ent- 
senden. — Angesichts dieser Nachrichten beauftragte die kaiserliche Regierung 
ihren Vertreter in Söul, dem Kaiser von Korea und seinen Ministern zu 
erklären, wenn ihrer Meinung nach Korea gegenwärtig keiner fremden Hilfe 
mehr bedürfe, und fähig sei, aus eigener Kraft die Unabhängigkeit seiner 
inneren Verwaltung zu wahren, so werde Rußland nicht säumen, die Ab- 
berufung des russischen Finanzbeirats anzuordnen. Die russischen Militär- 
personen würden nach dem Austritt aus der koreanischen Armee, angesichts 
der noch ungeklärten Lage der Dinge in Korea, zeitweilig zur Verfügung 
der russischen Gesandtschaft bleiben. Nicht mehr durch die Verantwortlich- 
keit gebunden, welche die Anwesenheit russischer Instrukteure und des Finanz- 
beirats in diesem Lande für Rußland mit sich brachte, kann Rußland sich 
nunmehr jeglicher aktiver Teilnahme an den Angelegenheiten Koreas in 
der Hoffnung enthalten, daß der dank der Unterstützung Rußlands gekräf- 
tigte junge Staat fähig sein wird, selbständig seine innere Ordnung, sowte 
auch seine völlige Unabhängigkeit zu bewahren. Andernfalls wird die 
kaiserliche Regierung Maßregeln treffen zum Schutze der Interessen und 
Rechte Rußlands als einer Korea benachbarten Großmacht. 
27. März. Vertrag zwischen China und Rußland über die 
überlassung Port Arthurs und Talienwans an Rußland. Der 
„Regierungsbote“ teilt darüber mit (29. März): 
Die mit den nötigen Vollmachten versehenen Vertreter Rußlands 
und Chinas haben am 15./27. März d. J. in Peking ein besonderes Ab- 
kommen unterzeichnet, durch welches Port Arthur und Talienwan mit den 
dazu gehörigen Ländereien und den Territorialgewässern der kaiserlich- 
russischen Regierung für einen Zeitraum von 25 Jahren, der unter ge- 
meinschaftlicher Zustimmung verlängert werden kann, zur Nutznießung ab- 
getreten worden find. Ferner hat China Rußland das Recht zugestanden, 
eine Eisenbahnlinie zu bauen, welche die genannten Häfen mit der großen 
transsibirischen Eisenbahnlinie verbindet. Dieses Abkommen ist eine direkte 
 
	        
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