324 Rußland. (Mai 11.)
Der „Regierungsbote" schreibt: Seit dem Ende des chinesfisch-
japanischen Krieges hat die Kaiserliche Regierung nicht aufgehört, alle ihre
Sorge darauf zu richten, die Integrität und vollständige Unabhängigkeit
des koreanischen Staats zu sichern. Zuerst, als es sich darum handelte,
die finanzielle und militärische Ordrganisation des jungen Staats auf solide
Grundlagen zu stellen, war es natürlich, daß dieser fremder Unterstützung
nicht entraten konnte. Deshalb hatte im Jahre 1896 der Souverän von
Korea die inständige Bitte an den Kaiser gerichtet, russische Instrukteure
und einen russischen Finanzrat nach Söul zu senden. Dank der Unter-
stützung, welche Rußland Korea zu rechter Zeit zu teil werden ließ, hat
letzteres jetzt den Weg betreten, auf welchem es im stande ist, seine innere
Verwaltung selbst zu besorgen. Dieser Umstand hat Rußland und Japan
die Möglichkeit gegeben, in einen freundschaftlichen Ideenaustausch zu
treten, um in klarer und genauer Weise die gegenseitigen Beziehungen der
beiden Staaten angesichts der kürzlich auf der koreanischen Halbinsel ge-
schaffenen Lage festzustellen. Die in dieser Frage eingeleiteten Besprechungen
haben zu dem Abschluß des nachstehenden Abkommens geführt, das dazu
bestimmt ist, das Protokoll von Moskau zu ergänzen, und das auf
Befehl des Kaisers durch den russischen Gesandten in Tokio unterzeichnet
worden ist.
Das Abkommen lautet:
Der Wirkliche Staatsrat und Kanzler Baron von NRosen, außer-
ordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister des Kaisers von Ruß-
land, und Baron Nischi, Minister der auswärtigen Angelegenheiten des
Kaisers von Japan, haben, um dem Artikel 4 des zu Moskau am
28. Mail9. Juni 1896 von dem Fürsten Lobanow und dem Marquis
Yamagata unterzeichneten Vertrages Folge zu geben, hierfür gehörig er-
mächtigt, die folgenden Artikel vereinbart:
Artikel I. Die Kaiserlichen Regierungen von Rußland und Japan
erkennen endgültig die Selbständigkeit und gänzliche Unabhängigkeit Koreas
an und verpflichten sich gegenseitig, sich jeder direkten Einmischung in die
inneren Angelegenheiten dieses Landes zu enthalten.
Artikel II. Mit dem Wunsche, jede mögliche Ursache eines Miß-
verständnisses in Zukunft auszuschließen, verpflichten sich die Kaiserlichen
Regierungen Rußlands und Japans gegenseitig, in dem Fall, daß Korea
den Rat und die Unterstützung Rußlands oder Japans nachsuchen sollte,
keine Maßnahme zur Ernennung von militärischen Instrukteuren und
finanziellen Ratgebern zu treffen, ohne zuvor zu einem gegenseitigen Ein-
verständnis darüber zu gelangen.
Artikel III. Angesichts der großen Entwickelung, welche die Handels-
und Industrie-Unternehmungen Japans in Korea genommen haben, sowie
mit Rücksicht auf die beträchtliche Zahl japanischer Unterthanen, die in
Korea wohnen, wird die russische Regierung der Entwickelung der kommer-
ziellen und industriellen Beziehungen zwischen Japan und Korea keinerlei
Hindernisse bereiten.
Geschehen in Tokio und in zwei Exemplaren ausgefertigt am
13./25. April 1898. Ro
Rosen.
Gezeichnet: Rischi.
Hierzu bemerkt der „Regierungsbote": Der vorstehende diplomatische
Akt bezeugt die Thatsache, daß die beiden befreundeten Staaten, welche
ausgedehnte aber zugleich durchaus mit einander verträgliche Interessen im
äußersten Orient haben, ganz naturgemäß die Notwendigkeit erkannt haben,
gegenseitig die Ruhe auf der benachbarten Halbinsel zu sichern, indem sie