Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 2.) 27 
„Die Sozialdemokratie hat mit uns auch nicht einen Punkt gemeinsam; sie 
steht uns aber in allen großen Volks- und Lebensfragen als unsere schlimmste 
Gegnerin gegenüber. Vor allem verspottet, beschimpft und verhöhnt sie die 
christliche Weltanschauung, ebenso das monarchische Prinzip, das wir alle 
hochhalten. Darum müssen wir sie überall bekämpfen. Meine Stellung 
zur Sozialdemokratie ist bekannt. Ich bestreite ihr jedes Recht, an der Ge- 
setzgebung teilzunehmen (Beifall). An einer Gesetzgebung, die dazu be- 
stimmt ist, unsere Gesellschaftsordnung auszubauen und zu erhalten, kann 
doch eine Partei nicht teilnehmen, deren Hauptprinzip die Vernichtung 
dieser Ordnung ist (Beifall).“ Auch die Freisinnigen seien als Vorfrucht 
der Sozialdemokratie zu bekämpfen, solange sie in der Stichwahl für die 
Sozialdemokratie gegen die Konservativen stimmten. Auch die Antisemiten 
zeigten bedenkliche Neigung zur Sozialdemokratie und namentlich die agra- 
rischen Wähler müßten dringend vor ihnen gewarnt werden. Den einzig 
berechtigten Antisemitismus vertrete die konservative Partei. Es sei zu 
hoffen, daß auch die anderen Parteien an dem Kampfe gegen die Sozial- 
demokratie teilnehmen würden, daß insbesondere das Zentrum nicht dem 
den Sozialdemokraten geneigten Flügel die Führung überlasse. Die allge- 
meine Richtschnur der Konservativen werde das Tivoliprogramm bleiben. — 
Nach längerer Debatte wird folgender Beschluß gefaßt: „Dem verhetzenden 
Treiben gewerbsmäßiger Agitatoren, die jede göttliche und weltliche Auto- 
rität untergraben und die durch den Mißbrauch politischer Freiheiten auf 
Zerstörung der christlichen Gesinnung im Volke hinarbeiten, muß durch 
christlich-deutsche Erneuerung des Volkslebens, durch weiteren Ausbau der 
Gesetzgebung im Sinne der kaiserlichen Botschaft vom November 1881 und 
durch energische Handhabung staatlicher Machtmittel ein Ziel gesetzt werden“ 
(Lebhafter Beifall). 
Nach einem Vortrage des Rechtsanwalts Klasing über die Stel- 
lung der Partei zur Wirtschafts- und Sozialpolitik wird folgender Beschluß 
gefaßt: Wir erkennen an, daß Landwirtschaft, Handwerk und Kleinhandel 
in der Gesetzgebung lange Jahre hindurch benachteiligt worden sind. Wir 
fordern demgemäß, daß seitens der Regierung und der Partei nach wie 
vor alles aufgeboten werde, um die Lage dieser Klassen unseres Volkes zu 
verbessern. Es muß dabei aber betont werden, daß von einer innerhalb 
der Partei bestehenden Feindschaft gegen Industrie und Handel nicht die 
Rede sein, daß vielmehr nur durch Gleichberechtigung und Zusammenwirken 
aller wirtschaftlichen Faktoren, zu denen auch der legitime Handel gehört, 
das Wohl des Vaterlandes gefördert werden kann. Den arbeitenden Klassen 
wird die deutsch-konservative Partei nach wie vor ihre besondere Fürsorge 
widmen. Einer einseitigen Sozialreform aber, die nur den Arbeiterinter- 
essen dient, ohne auf die Lage der durch Gesetzgebung schon stark belasteten 
produktiven Stände Rücksicht zu nehmen, wird die konservative Partei stets 
widerstreben. Entschiedene Verwahrung muß dagegen eingelegt werden, daß 
die konservative Partei einen Stillstand oder gar Rückschritt in der Sozial- 
reform herbeiführen wolle, sie wird im Gegenteil auf einen planmäßigen 
Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung und auf eine Verbesserung der Inva- 
liditäts- und Altersversicherung mit allen Kräften hinwirken. Ueber die 
Wahlen wird beschlossen: „Bei den nächsten Reichstagswahlen ist überall 
als vornehmstes Ziel die Bekämpfung der Sozialdemokratie und ihrer 
Helfershelfer ins Auge zu fassen. In den Wahlkreisen ist ein Zusammen- 
gehen der Ordnungsparteien gegen die Sozialdemokratie unter voller gegen- 
seitiger Respektierung der Selbständigkeit und des Besitzstandes der Parteien 
zu fördern. Wo dies nicht gelingt, ist auch in bisher nicht konservativ 
vertretenen Wahlkreisen, soweit es angeht, die Aufstellung von eigenen Kan-
	        
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