Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

376 Nebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1898. 
den Marschall Martinez Campos, der die letzten Reformen erwirkt 
und damit den früheren Aufstand beendet hatte, als Gouverneur 
hinübergesandt, aber alle seine Bemühungen, durch Versprechungen 
und Beseitigung kleinerer Ubelstände die Separatisten zu gewinnen, 
blieben fruchtlos. Infolgedessen brach die Regierung mit diesem 
System, berief Martinez ab und ernannte zu seinem Nachfolger 
den General Weyler (1896), der den Krieg mit größter Rücksichts- 
lofigkeit zu führen begann. Er suchte die Masse der Bevölkerung 
von den Aufständischen durch Gewaltmaßregeln zu trennen, indem 
er schonungslos die Ernten der Provinzen, in denen die Ausstän- 
dischen ihre Stützpunkte hatten, vernichtete und die Ausfuhr ihrer 
Produkte verbot. Es war vergebens; der Aufstand dehnte sich von 
den östlichen Provinzen, wo er seinen ursprünglichen Sitz hatte, 
immer mehr nach Westen aus, und selbst die Umgebung der Haupt- 
stadt Havanna war bald nicht mehr sicher vor den Einfällen der 
Insurgentenbanden. Die einzige Wirkung des Weyler'schen Ge- 
waltsystems war die Stockung des kubanischen Handels und die 
Verderbung des ehemals so blühenden Zucker= und Tabakbaues. 
Nicht ganz aus eigener Kraft konnten die Insulaner dem 
Mutterlande widerstehen. Wertvolle Unterstützung an Waffen und 
Geld wurde ihnen von Nordamerika zu teil. Von Beginn des 
Aufstandes an hatte hier die öffentliche Meinung mit den Insur- 
genten sympathisiert. In den Vereinigten Staaten gibt es seit 
Anfang des Jahrhunderts eine starke Partei, die die Annexion 
Kubas anstrebt, und bei jedem Aufstande der Kubaner hatten 
amerikanische Flibustier ihre Hand im Spiele. Der Wunsch, Kuba 
mit dem Unionsgebiete zu vereinigen, hatte seine Wurzel vor- 
nehmlich in Geschäftsinteressen, denn Kuba exportiert seit langem 
den bei weitem größten Teil seiner Produkte nach den Vereinigten 
Staaten, und die Tabak= und Zuckerinteressenten hofften, noch 
weit größeren Gewinn zu erzielen, wenn erst die schlechte spanische 
Verwaltung durch die rationellere amerikanische ersetzt sei. Durch 
den augenblicklichen Krieg litten sie naturgemäß bei der Stockung 
des kubanischen Landbaus und Handels beträchtliche Verluste, 
hatten also Grund genug, die Beruhigung der Insel herbeizu- 
wünschen. Hierzu kam die jedem aufstrebenden Staatswesen inne-
	        
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