Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

382 Nebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1898. 
Befreiung Kubas, zu erreichen, eine Landung auf der Insel und 
die Vertreibung der dort stehenden Spanier war nicht anwendbar, 
weil die amerikanische Landmacht nicht für einen auswärtigen 
Krieg gerüstet war. Was man unter den Waffen hatte, reichte 
nicht entfernt aus, um den Spaniern, die man auf mehr als 
100,000 Mann schätzte, das Feld zu halten, und bis eine expedi- 
tionsfähige Armee gebildet ward, mußten Monate vergehen. Un- 
mittelbar nach Ausbruch des Krieges wurde beschlossen, die regu- 
läre Armee auf 61,000 Mann zu bringen und ein Freiwilligen- 
heer von über 200,000 Mann zu bilden, aber noch im Juli waren 
diese Ziffern nicht vollständig erreicht. Während sich diese Massen 
allmählich in den Häfen der Südküste und in Florida sammelten, 
blockierte die Flotte die Häsen von Kuba, fand aber zu Gefechten 
keine Gelegenheit, da sich die wenigen Schiffe, die Spanien in Ha- 
vanna und anderen Häfen hatte, hinter dem Schutze der Befesti- 
gungen hielten. Die Flotte wurde erst vor größere Aufgaben ge- 
stellt als Spanien seine besten Schiffe, vier moderne Panzerkreuzer 
und zwei Torpedobotzerstörer der Insel zu Hilfe schickte. Ihr 
Führer, Admiral Cervera, entkam glücklich den amerikanischen 
Kreuzern und ankerte ungehindert in Santiago an der Südküste 
von Kuba (19. Mai). Der Jubel in Spanien über diese glück- 
liche überfahrt war groß; man hoffte, daß Cervera die Blockade 
der Amerikaner durchbrechen und sich mit den übrigen in Kuba 
liegenden Schiffen vereinigen werde, ja man träumte schon von 
einer Landung auf Florida oder von einer Beschießung ameri- 
kanischer Küstenstädte. Aber bald zerrannen alle diese Hoffnungen 
in nichts; Cervera wagte nicht, sein Geschwader einem Kampfe mit 
der amerikanischen übermacht auszusetzen und verließ den Hafen 
nicht. Eine Woche nach seiner Ankunft war sein Aufenthalt in 
Santiago den Feinden bekannt, und sogleich erschien eine ameri- 
kanische Flotte vor dem Hafen, um Cervera an der Ausfahrt zu 
verhindern (30. Mai). Von nun an konzentrierten sich alle An- 
strengungen der Amerikaner auf die Eroberung Santiagos. Ge- 
lang sie und damit die Wegnahme oder Zerstbrung der spanischen 
Schiffe, dann war der Krieg entschieden: denn dann beherrschten 
die Amerikaner die See unbedingt und konnten jede Unterstützung
	        
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