84 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 23./26.)
1867 richtete sich der Kampf gegen das Aeternat, gegen die dauernde Fest-
legung der Präsenzstärke; deshalb entschied man sich dahin, daß auch für
mehrere Jahre Bewilligungen gemacht werden könnten. Windthorst erkannte
in der Abweisung des Aeternats den Angelpunkt des konstitutionellen Lebens.
Er stellte in den Kämpfen um das Militärseptenat die einjährige Bewilligung
des Marine-Etats als das allein Richtige hin. Die Festlegung der Orga-
nisation der Flotte ist nicht zu vergleichen mit der Festlegung der Cadres
bei der Armee. Denn die Füllung der Cadres hängt ab von der Fest-
setzung der Friedenspräsenz, während hier der Reichstag sich binden soll.
Der Hinweis auf Italien ist ebenfalls unzutreffend. Die dort geforderten
Schiffe waren bis auf zwei schon vorhanden; daher erklärt sich auch, daß
die Forderung sich nur auf 8 Millionen Franks belief. Wenn die Preise
der Materialien teurer werden und dadurch die Kosten der Schiffsbauten
wachsen, so muß man, wenn die ersten Raten die alten bleiben, die Mehr-
kosten in den späteren Jahren bewilligen, und dadurch kommt das dicke
Ende nach; die Abkürzung auf 6 Jahre ist deshalb durchaus kein Vorteil.
Die Vorlage wird den Anleihebedarf des Reichs um 190 Millionen Mark
steigern. Wenn die Marineausgaben aus den laufenden Einnahmen gedeckt
werden, wo bleibt dann die Deckung der anderen Bedürfnisse? Herr von
Hertling sieht in der Vorlage einen gewissen Abschluß. In der Begründung
des Gesetzes steht, daß das in der Vorlage Verlangte nach den heutigen
Verhältnissen bemessen sei. Was die Zukunft bringen soll, das steht auf
einem anderen Blatt. Um die Seegewalt des Reichs überall zum Ausdruck
zu bringen, müßte man mehrere Schlachtflotten auf dem Meere haben. Die
13 Kreuzer, über den Erdball verteilt, können es auch nicht machen. Der
Kurs ist mehr als je auf das Uferlose über die Vorlage hinaus gerichtet.
Im vorigen Jahre sträubte sich der Reichstag gegen eine Erhöhung des
Marine-Extraordinariums von 58 auf 70 Millionen, und heute bewilligt
man viel größere Summen und läßt sich die Hände binden. Aus einem
Mißtrauen gegen den Reichstag ist die Vorlage entstanden. Wir verdanken
unser Mandat dem Vertrauen der Wähler, und dieses Vertrauen müssen
wir mit Vertrauen erwidern.
Staatssekretär des Reichs-Marineamts, Kontre-Admiral Tirpitz:
Meine Herren! Das springende Motiv zu der Vorlage ist die Ab-
sicht gewesen, unserer Flotte eine Organisation zu geben, das nachzuholen,
was bei der Gründung unserer Marine nicht möglich war; denn damals
fehlte uns die Kenntnis und die Erfahrung, um unserer Flotte eine Or-
ganisation zu geben. Eine Organisation soll etwas Dauerndes sein, und
weil sie das sein soll, muß sie auch dauernd, d. h. gesetzlich, festgelegt
werden. Das ist das Hauptmotiv unseres Vorgehens gewesen. Meine
Herren, wenn wir in dieser Ueberzeugung noch hätten bestärkt werden
können, dann sind wir es nicht zum mindesten geworden gerade durch die
Ausführungen der grundsätzlichen Opposition und im Speziellen durch die
Ausführungen eines so hervorragenden Parlamentariers, wie der Herr Vor-
redner es ist. Als ich nach Deutschland zurückkam und die Vorgänge mir
ansah, da fand ich im Juni in der „Freisinnigen Zeitung", die ja dem
Herrn Vorredner nicht fernsteht, Nachstehendes ausgeführt: Ohne ein festes,
bindendes Programm wird der Reichstag schwerlich von seinem bisherigen
Prinzip abgehen (hört! hörtl), sondern wie bisher die einzelnen Etats-
forderungen für jedes Jahr hinsichtlich ihrer maritimen Notwendigkeit und
finanziellen Durchführbarkeit prüfen. Also: ohne ein festes, bindendes
Programm würde auch die „Uferlosigkeit“ nicht beseitigt. (Sehr richtig!)
Was ist denn ein festes, bindendes Programm? Es ist ein klarer Plan,
über den man sich einigt, und, wenn man sich geeinigt hat, diese Einigung