42 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 10.)
schaftlichen Berufe wieder beigebracht werden und da biete sich ein dank-
bares Feld der Thätigkeit für landwirtschaftliche Vereine, für Geistliche
und Lehrer. Aber gerade die letzteren und die Schulverwaltungen lassen
es in dieser Beziehung vielfach fehlen, die Lehrer stehen dem landwirt-
schaftlichen Berufe zu fern und die Kinder verlernen ganz den Begriff da-
für, wozu sie der liebe Gott auf das Land gesetzt hat. (Lebhafte Zustim-
mung rechts.) Statt in den landwirtschaftlichen Betrieb eingeführt zu
werden und Liebe für die Einzelheiten der landwirtschaftlichen Berufs-
tätigkeit, für die Wartung des Viehes, für das Melken etc. zu lernen,
lernen die Kinder stricken (Heiterkeit und lebhafte Zustimmung rechts) und
was weiß ich sonst noch, wofür sie keine Verwendung haben. Die Lehrer
selbst verderben die Geistesrichtung der bäuerlichen Bevölkerung. Der
Niedersachse lebt mit seiner Kuh und seinem Vieh unter einem Dach und
hat darin niemals etwas Entehrendes gefunden, aber der Lehrer tut es
nicht, er will einen eigenen Stall haben und gibt dabei ein schlechtes Bei-
spiel. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Ich danke der Schulverwaltung für
ihren guten Willen, ich könnte es aber nicht übers Herz bringen, meine
persönliche Meinung über die Tätigkeit von Schule und Lehrer nicht hier
darzulegen. Man muß die Hand an die Wunde legen, wenn man sie
heilen will. Ich freue mich, durch Ihre lebhafte Zustimmung zu erfahren,
daß meine Anschauungen im großen und ganzen von Ihnen geteilt werden.
Ich hoffe, daß wir eher als bisher dazu gelangen, daß ohne Vernach-
lässigung des Wissens der Kinder ihre Erziehung für das praktische Leben
mehr gefördert wird. (Lebhaftes Bravo rechts.) Es sei sehr schön, daß
wir theoretisch an der Spitze der Kultur marschieren und so soll es auch
bleiben, aber die Beziehung zum praktischen Leben werde dabei vernach-
lässigt. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. Graf Strachwitz (3.) stimmt dem Landwirtschaftsminister
zu. Die Verrohung der jungen Leute und die Unbotmäßigkeit des Ge-
sindes sei hauptsächlich veranlaßt durch die Klassenverhetzung, den Kampf
gegen die Kirche, die Autorität der Arbeitgeber, durch die Aufwiegelun
der Massen gegen die angebliche Begehrlichkeit der Agrarier und auch
durch den Kulturkampf. Abg. Korn (kons.) fordert Maßregeln gegen den
Kontraktbruch, gegen den schwer anzukämpfen sei. Humanitätsdusel hat
aber keinen Zweck. Die Strafen müssen wirksam sein, und bei den Minder-
jährigen wirkt am besten, wenn sie zur rechten Zeit angewendet wird, die
Prügelstrafe. Abg. Hirsch (fr. Vp.) bestreitet den allgemeinen Arbeiter-
mangel. Polizeimaßregeln würden nichts helfen, sondern allein die Ver-
besserung der Stellung der ländlichen Arbeiter.
Am folgenden Tage erklärt Abg. Hoheisel (Z.): Was der Land-
wirtschaftsminister über die Schule gesagt habe, finde seinen vollen Beifall,
nur treffe sein Tadel nicht auf alle Lehrer und Geistlichen zu. Die Sozial-
demokratie hätte leichtere Arbeit auf dem Lande, wenn nicht die katholische
Geistlichkeit in Gesellen= und Arbeitervereinen ihren Einfluß geltend mache.
Die Kinder müßten früher zur landwirtschaftlichen Arbeit angehalten
werden, und die Feldarbeit in der Sonnenhitze schade ihnen nichts, sondern
mache sie gesund und frisch. Die Schule sei mit einer Menge Ballast be-
schwert. Man könne Naturkunde, Mathematik und Aehnliches noch kürzen.
Das könnten die Kinder, wenn sie es notwendig haben, später auch noch
in anderen Schulen lernen. Nur keine Schulsitzerei. Um spätestens
10 Uhr könne man die Kinder ganz gut aus der Schule entlassen, damit
sie ihren Eltern in der Landwirtschaft helfen. Die Schule solle die Kinder
auf die Verführungen des städtischen Lebens aufmerksam machen. Kommen
die jungen Burschen von der Stadt auf das Land zurück, so verhöhnen sie