Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 16.) 65
tung, daß erst durch sie der Feldartillerie die volle Entwicklung ihrer
Leistungsfähigkeit auf dem Schlachtfelde garantiert ist. Sie wird in bisher
unerreichtem Maße ein Hauptmittel der höheren Führung. Eine ganz neue
Truppengattung, die Verkehrstruppen, sind unter einheitlicher Spitze ge-
schaffen. Sie entsprechen den Bedürfnissen der modernen Zeit und
ermöglichen die Leitung und Bewegung der Massen. Von der Kavallerie
ist der Bann genommen, der seit fast 30 Jahren auf ihr ruhte. Ihrer
Vermehrung durch Neuformationen — einem dringenden Bedürfnis —
ist, wenn auch in bescheidenen Grenzen, genügt. Die Fußartillerie, die
Pioniere und der Train haben diejenige Verstärkung erhalten, die für sie
erforderlich waren. Nur eine Waffe ist den anderen Waffen gegenüber zu
kurz gekommen, und das ist gerade die Hauptwaffe: die Infanterie. Ohne
eine gute Infanterie können wir die uns gestellten Aufgaben überhaupt
nicht lösen, in ihr liegt die eigentliche lebendige Kraft der Nation und des
ganzen Heeres, von ihrer Kriegsfertigkeit und Disziplin hängt das Schicksal
der Feldzüge im wesentlichen ab. (Sehr richtig! rechts). Ich brauche auf
die zersetzenden Einflüsse des Infanteriegefechts nicht näher einzugehen, sie
sind oft genug beschrieben, und wer sie selbst kennt, weiß, welche Anforde-
rungen an eine gute Infanterie gestellt werden müssen. Um diese zu er-
reichen, bedarf es der sorgfältigsten Erziehung im Frieden. Hierbei darf
man aber nicht vergessen, daß die Dauer der Dienstzeit in unmittelbarer
Wechselwirkung mit der Stärke der Kadres steht. Eine Infanterie mit
längerer Dienstzeit erhält verhältnismäßig schwache Rekrutenquoten; ihre
Ausbildung ist entsprechend erleichtert. Eine Infanterie mit zweijähriger
Dienstzeit bedarf eines möglichst starken Jahrganges älterer Mannschaften,
sonst sinkt ihr Niveau auf eine Rekrutenschule herab. (Sehr richtig! rechts).
Soll die deutsche Infanterie ihren altbewährten Ruf, den sie in allen Feld-
zügen bewiesen hat, behalten, so braucht sie starke Bataillone, und diese
Lebensbedingung ihr nach Möglichkeit zu schaffen, ist der Zweck der Vor-
lage der verbündeten Regierungen. Von der Stärke der Bataillone
hängt eben die Möglichkeit der Durchführung der zweijährigen Dienstzeit
in erster Linie ab. Dieser Grundsatz dürfte daher für alle Teile eine drin-
gende Veranlassung sein, den Etat der Bataillone, ihre Friedenspräsenz-
stärke, so zu gestalten, daß die Durchführung der verkürzten Dienstzeit mit
vollem Erfolge auch unbedingt gesichert wird. In der Budgetkommission
ist der Gedanke hervorgetreten, die Abkommandierungen möglichst einzu-
schränken. Gewiß ist das richtig, und seitens der Heeresverwaltung wird
diesem Gedanken auch nachgegangen werden; aber es müssen beide Maß-
nahmen Hand in Hand gehen, daher erst die Erhöhung der Präsenzstärke
und dann die Verminderung der Abkommandierungen. Auch war man be-
züglich der Ersatzmittel für Abkommandierte recht freigebig. Ich habe die
laufenden Ausgaben hierfür auf rund 20 Millionen Mark jährlich berechnet.
(Hört, hört! rechts.) Demgegenüber steht hier eine Ausgabe von 2½ Mil-
lionen. (Hört, hört!) Bewilligen Sie diese für die Erhöhung der Präsenz-
stärke der Infanterie, damit wird dieser Waffe unendlich mehr genügt.
Was gefordert ist, ist in den engsten Grenzen gehalten, und diese Forderung
muß immer wieder auftreten, wollen Sie der Hauptwaffe nicht die Grund-
lagen ihrer Existenz verkümmern. Ich gebe zu — wie neulich der Herr
Abg. Dr. Lieber angeführt hat — daß, wenn man Unteroffiziere und Ge-
meine in der Gesamtheit der Armee und der Marine zusammenfaßt, die
Präsenzstärke 1 Proz. der Bevölkerung um etwas überschreiten wird. Die
zu Grunde gelegte Bevölkerungsziffer entspricht aber der Volkszählung vom
Jahre 1895, inzwischen haben sich die Zahlen erheblich verschoben. Zer-
reißen Sie, meine Herren, nicht das organische Gefüge der Militärvorlage,
Europischer Geschichtskalender. Bd. XL. 5