66 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 16.)
geben Sie jeder Waffe, was der Waffe gebührt, auch der braven deutschen
Infanterie. Allerdings sieht ja die Gesetzgebung die Mittel vor, um unzu-
reichende Kadres unter gegebenen Verhältnissen verwendungsfähig zu machen.
Nach dem Gesetze vom 3. August 1893 können im Falle notwendiger Ver-
stärkungen auf Anordnung des Kaisers die sonst zu entlassenden Mann-
schaften im aktiven Dienst zurückbehalten werden; desgleichen können nach
dem Gesetze vom 9. November 1867 durch kaiserliche Anordnung Mann-
schaften der Reserve als notwendige Verstärkung zum Dienst einberufen
werden. Das sind aber doch gesetzliche Mittel, auf welche man im Interesse
der Mannschaften, die aus ihren bürgerlichen Verhältnissen herausgerissen
werden oder länger bei der Fahne bleiben müssen, ungern zurückgreift.
Das Richtige wird immer sein, die Präsenzstärke so festzusetzen, daß sie allen
Eventualitäten entspricht. Ich kann daher nur nochmals die dringende
Bitte Ihnen ans Herz legen: nehmen Sie die Präsenzstärke, wie sie in der
Heeresvorlage enthalten ist, an! Sie ist die richtige Grundlage für die
weitere Entwicklung der Armee, im besonderen der Infanterie. Wird
diese Forderung heute nicht genehmigt, so wird sie unabweisbar wieder-
kommen. (Bravol)
Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Meine politischen Freunde haben in
Erwägung gezogen, ob es nicht möglich sei, eine Verständigung zwischen
den verbündeten Regierungen und dem Reichstage anzubahnen. Das Er-
gebnis liegt Ihnen in unseren Anträgen vor. Wir würden die Anträge
nicht eingebracht haben, wenn in der zweiten Lesung seitens der Vertreter
des Bundesrats das Wort „unannehmbar“ gefallen sein würde. Das war
nicht der Fall und die Parteien haben sich auch ihre Entschließungen für
die dritte Lesung vorbehalten; die Parteien der Rechten, namentlich die
Reichspartei, haben ihre Hoffnungen auf eine Verständigung nicht aufgegeben.
..... Die zweijährige Dienstzeit solle aufrecht erhalten und zu einer
dauernden Einrichtung der Landesverteidigung gemacht werden. Dafür
sollen hohe Opfer gebracht werden, aber erst, wenn der Nachweis erbracht
sein wird, daß mit dem jetzt Bewilligten die zweijährige Dienstzeit nicht
aufrecht erhalten werden kann. Es soll mit den Kommissionsbeschlüssen
erst einmal ein Versuch gemacht werden. Die zweijährige Dienstzeit ist eine
verhältnismäßig junge Einrichtung; die Probe ist noch nicht gründlich ge-
macht. Wir müssen erst an der Kriegstüchtigkeit unserer Reserve und
Landwehrmannschaften erproben, wie die militärische Erziehung in zwei
Jahren gewirkt hat. Meine politischen Freunde haben alles bewilligt, was
zur Durchführung der zweijährigen Dienstzeit notwendig ist. Wir glauben
aber auch, daß der Reichstag von den verbündeten Regierungen zu fordern
berechtigt sei, daß die Probe gemacht wird, ob nicht mit den jetzigen Be-
willigungen die zweijährige Dienstzeit durchgeführt werden kann. Wir sind
zu dieser Forderung um so eher berechtigt, als die ganze Vorlage sich ja
auf den Boden der stufenweisen Verstärkung der Heeresorganisation stellt,
als erst nach zwei Jahren mehr notwendig werden würde, als jetzt bewil-
ligt werden soll. Es wäre besser, die Entwicklung abzuwarten und dann
in loyaler Weise zwischen den einzelnen Faktoren der Gesetzgebung zu ver-
handeln. Ich möchte mich der Hoffnung hingeben, daß dieser unser Vor-
schlag seitens der verbündeten Regierungen und seitens der Parteien, die
überhaupt eine Verständigung erzielen wollen, angenommen werden möchte.
Es ist uns nicht allzu leicht geworden, die Ihnen unterbreiteten Vorschläge
zu machen. Wir wissen ganz genau, was die Herren auf der linken Seite
des Hauses daraus machen werden. (Heiterkeit.) Obgleich es auch Ihnen
(links) ganz angenehm sein wird, wenn eine Verständigung erzielt wird.
(Lebhafter Widerspruch links).