120 JL##s Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 26.—28.)
greifenden Umänderung unterzogen werden. Für die Staatssteuern be-
deutet die Einführung einer allgemeinen progressiven Einkommensteuer mit
einem Existenzminimum von 500 bezw. 800 Mark bei Ledigen bezw. Ver-
heiraten und einer Steigung von 4½ Prozent bei 100 000 Mark Jahres-
einkommen die wichtigste Neuerung. Dafür kommt die Dienst- und Berufs-
einkommensteuer in Wegfall, die Kapitalsteuer wird ermäßigt und die
Grund-, Gebäude= und Gewerbesteuer vorläufig in einem um ein Drittel
niedrigeren Satze beibehalten, um nach sechs Jahren einer eventuellen Ver-
mögenssteuer Platz zu machen. Die Gemeindesteuerreform befaßt sich in
der Hauptsache mit der Anpassung an die neuen Staatssteuern und gibt
namentlich den Gemeinden ein höheres Besteuerungsrecht der Einkommen.
26. Juni. (Hessen.) Die Zweite Kammer genehmigt ein-
stimmig den Gesetzentwurf betr. die Wohnungsfürsorge für Minder-
bemittelte.
Das Gesetz sieht die Schaffung einer Wohnungsinspektion, die nicht
als ein Organ der Polizeiaufsicht, sondern als Wohlfahrtspflege gedacht ist,
sowie die Förderung der Erbauung von Wohnungen für Minderbemittelte
vor. Wie seitens der Regierung hervorgehoben wird, soll dies ein Versuch
sein, die Schäden des Alkohols, der Tuberkulose u. s. w. im Interesse des
Volkswohles zu verhüten und so der Allgemeinheit zu dienen. — Die
Erste Kammer stimmt zu.
27. Juni. (Hessen.) Die Zweite Kammer genehmigt gegen
die Stimmen der Sozialdemokraten eine Vorlage über Regelung
des kirchlichen Eigentumsrechts.
Die wichtigsten Bestimmungen sind: Gebäude, welche gottesdienst-
lichen Zwecken gewidmet sind, wie Kirchen, Kapellen, Bethäuser oder Pfarr-
häuser und ebenso das die Kirche umgebende Gelände, die zum Pfarrhause
gehörigen Hofreiten und Hausgärten, die Glocken und sonstigen Zubehör-
stücke, welche bisher im Eigentum der bürgerlichen Gemeinde stehen oder
auf den Namen der bürgerlichen Gemeinde im Grundbuch eingetragen sind,
gehen in das Eigentum der betreffenden Kirchengemeinde über, wenn letztere
vor der Zeit, in welcher das Grundbuch als angelegt gilt, mit Genehmigung
des Kreisamtes und der höheren Kirchenbehörde den Eigentumsübergang
beantragt und binnen drei Monaten von Zustellung des Antrages kein
Widerspruch erfolgt. Erfolgt kein Widerspruch, so wird die Eigentums-
bescheinigung erteilt; im Falle eines Widerspruches ist der Klageweg zu
beschreiten. Mit dem Eigentum geht auch die aus ihm entspringende Bau-
last auf die Kirchengemeinde über. Den Gemeinden wird durch eine be-
sondere Bestimmung an den Kirchen diejenige Rechte gesichert, die sie in
Bezug auf Kirchtürme, Glocken, feuerpolizeiliche Lokale u. s. w. zu all-
gemeinen Gemeindezwecken haben. („Köln. Volksztg.“)
28. Juni. (Berlin.) Der Dreibund wird in unveränderter
Form erneuert. Reichskanzler Graf Bülow und die Botschafter
Graf Szögyeny und Graf Lanza unterzeichnen das Vertrags-
instrument.
28. Juni. (Württemberg.) Die Zweite Kammer genehmigt
mit 70 gegen 2 Stimmen die Einkommensteuervorlage und lehnt
es mit 47 gegen 34 Stimmen ab, der Ersten Kammer im Budget-
recht Konzessionen zu machen.