62 HNas Veutsche Reich und seine einjelnen Glieder. (April 16. 17.)
16. April. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Finanz-
etat. Debatte über die Seehandlung.
Abg. Richter (fr. Vp.) kritisiert die Geschäfte der Seehandlung.
Der Staat habe, nachdem die Reichsbank als Zentralstelle für den Geld-
verkehr geschaffen sei, nachdem speziell für Preußen die Zentralgenossenschafts-
kasse ins Leben gerufen worden sei, einen genügenden Einfluß auf die Gestal-
tung des Geldmarktes, und man könne heute die Frage aufwerfen, ob die See-
handlung nicht nur nicht unentbehrlich, ob sie nicht vielmehr statt nützlich direkt
schädlich sei. In der Beziehung müsse er (Redner) darauf aufmerksam
machen, daß die Seehandlung verschiedentlich die Diskont= und Währungs-
politik der Reichsbank zu durchkreuzen versucht habe. Wenn daher über-
haupt etwas getan werden solle, so könne es sich nur in der Richtung be-
wegen, den Geschäftskreis der Seehandlung gesetzlich zu beschränken. Nach-
dem man den Geschäftskreis sowohl der Reichsbank wie auch der Zentral-
genossenschaftskasse gesetzlich ganz genau begrenzt habe, liege keine Veran-
lassung vor, damit gerade bei der Seehandlung Halt zu machen. Ein
Institut wie die Seehandlung passe überhaupt nicht mehr in die heutigen
Verhältnisse hinein; sie sei geradezu eine Jronie auf das Geldbewilligungs-
recht des Landtages und stehe in direktem Widerspruch mit der Verfassung.
Finanzminister Frhr. v. Rheinbaben: Der Seehandlung ist es noch nie-
mals eingefallen, irgend eine Operation vorzunehmen, die mit dem Mit-
bewilligungsrecht des Landtages irgendwie in Widerspruch stände. Ich
bin im Gegensatz zu Hrn. Richter der Meinung, daß es dringend geboten
ist, die Seehandlung nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszugestalten
im Interesse des Staates wie des großen Publikums. Zunächst im Inter-
esse des Staates: Der Staat muß ein Bankinstitut zur Verfügung haben,
das selbständig und mächtig genug ist, ein Wort an der Börse mitzusprechen.
Heute weiß jeder, daß eine Sache, unter welche die Seehandlung ihren
Namen setzt, absolut vertrauenswert ist. Das Kapital aber, das der See-
handlung zur Verfügung steht, genügt nicht, um ihren Einfluß auf dem
Geldmarkte in der erwünschten Weise zur Geltung zu bringen, denn die
Seehandlung ist mit ihren 34 Mill. Betriebsfonds heute kaum noch zu den
mittleren Banken zu rechnen. Eine Verstärkung des materiellen Einflusses
der Seehandlung ist aber auch notwendig im Interesse des Publikums.
Gewiß wird die Seehandlung nicht im stande sein, Schwankungen, die mit
dem wirtschaftlichen Aufschwung und Niedergang im Zusammenhang stehen,
gänzlich zu verhindern; wohl aber wird sie im stande sein, einer willkür-
lichen und — ich möchte sagen — gewalttätigen Einwirkung auf den Stand
der preußischen Papiere entgegenzutreten. Ich glaube, daß die Seehand-
lung notwendig ist im Interesse des Staates und des Publikums, das —
Gottlob — noch immer den Kredit des preußischen Staates hochhält. —
Mehrere Redner wünschen eine Erhöhung des Kapitals der Seehandlung
und eine Reformierung des Instituts.
17. April. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) Debatte
über das Schulgesetz.
Das Haus nimmt mit 80 gegen 62 Stimmen einen Zentrums-
antrag an, wonach die Gemeinden, und wenn diese nicht leistungsfähig
sind, der Staat verpflichtet ist, den Religionsunterricht, auch wenn ihn
Katecheten erteilen, unter allen Umständen zu honorieren, während die
Kirche das Recht behält, sich zu dem Religionsunterricht in der Volks-
schule zu stellen, wie es ihr beliebt. Die Linke bezeichnet den Antrag als ver-
fassungswidrig, Kultusminister v. Landmann erklärt ihn für unannehmbar.