Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

D#es Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 23./25.) 85 
ratung und Annahme des Gesetzentwurfs über die Befähigung zum 
höheren Verwaltungsdienst. Korpsfrage. 
In zweiter Lesung genehmigt das Haus die Vorlage nach den 
Kommissionsbeschlüssen (23. April). Die Kommission hat den Regierungs- 
entwurf dahin verändert, daß die Ernennung zum Regierungsreferendar durch 
den Regierungspräsidenten nur mit Zustimmung der Minister des Innern 
und der Finanzen erfolgen darf und daß bei dem Uebertritt von der Justiz 
zur Verwaltung eine einjährige Karenzzeit erforderlich ist; während dieser 
Zeit ist der Bewerber als Justitiar oder anderweitig bei der Verwaltungs- 
behörde zu beschäftigen. — Der Minister des Innern trat für die unver- 
änderte Annahme der Regierungsvorlage ein, wonach der Regierungsprä- 
sident allein die Regierungsreferendare ernennt. 
In der dritten Lesung (25. April) beantragt Abg. v. Richthofen 
(kons.) die Wiederherstellung der Regierungsvorlage, wozu Abg. v. Sa- 
vigny (38.) beantragt, in diesem Falle dem vom Regierungspräsidenten 
abgelehnten Referendar ein Recht der Beschwerde an den Minister des 
Innern und der Finanzen zu geben. — Abg. Friedberg (ul.) lehnt die 
Wiederherstellung der Regierungsvorlage ab, weil sie die jetzigen unbe- 
friedigenden Zustände legalisieren würde. Wir haben im Jahre 1899 uns 
einmal unterhalten über das Verhältnis von Adligen und Bürgerlichen 
in der Verwaltung, und da hat sich ergeben, daß doch gewisse äußere Ver- 
hältnisse mitspielen. Von den Landräten sind 50 v. H. adlig, von den 
Regierungspräsidenten 71½ v. H.! Es hat sich herausgestellt, daß von 
35 Regierungspräsidenten 21 ehemalige Korpsstudenten sind. Es scheinen 
sih also die höheren Beamten aus einer gewissen Bevölkerungsklasse zu 
rekrutieren, die wieder eine in sich abgeschlossene Kaste bildet, die wesentlich 
auf dem Wege durch das Korps herangezogen wird! Die Regierungs- 
präsidenten scheinen die Referendarstellen nur für bestimmte Leute oßzen 
zu halten. Für den Antrag v. Savigny II können wir uns nicht erwärmen. 
Ein Referendar, der auf dem Beschwerdeweg in das Regierungsreferen- 
dariat hineingekommen ist, hat von vornherein ein schlechtes Blatt. (Sehr 
richtig!) Es besteht eben ein gewisses Vorurteil bei den Regierungspräsi- 
denten über die sozialen Klassen, aus denen die Anwärter hervorgehen. 
Von einem königl. preußischen Staatsminister kann man ein viel weiteres 
Gesichtsfeld erwarten und bei ihm kann man mehr Verständnis voraussetzen. 
Minister des Innern Frhr. v. Hammerstein: Ich kann nicht 
dulden, daß den Regierungspräsidenten vorgeworfen wird, daß sie bei der 
Annahme von Regierungsreferendaren die Adligen bevorzugen. Ich muß 
diesen Vorwurf ganz ausdrücklich zurückweisen. Das ist nicht der Fall. 
(Große Unruhe.) Der Vorredner hat Statistiken aus früheren Jahren 
herangezogen; er hat auch behauptet, daß gegenwärtig 40 v. H. der ange- 
nommenen Regierungsreferendare dem Adel angehören. Meine Herren, 
was beweist denn das? Das beweist doch nur, daß der Adel, und zwar 
wesentlich der unvermögende Adel, aus dem die großen preußischen Könige 
den Staat gebildet haben (Lärm links und in der Mitte. Rufe: Ohol), 
dem Dienste des Vaterlandes sich widmet und damit sich bescheidet. (Er- 
neute stürmische Unruhe links und in der Mitte; lebhafte Zurufe.) Ich 
muß überhaupt bestreiten, daß ein Prozentsatz von 40 etwas Besonderes 
wäre. Ich freue mich noch immer über jeden Referendar, der einer adligen 
oder Beamtenfamilie angehört; dann bin ich sicher, daß die Regierung mit 
ihren Beamten gut fährt. (Zurufe links: Nanu! Große Unruhe.) Wäh- 
rend meiner Amtszeit sind mir schon viele Fälle vorgekommen, daß junge 
Beamte aus besonders wohlhabenden Kreisen, die in etwas entfernte Ge- 
 
	        
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