Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 4./16.) 41
Offiziere durch Drohungen davon abzuschrecken. Frankreich sei in dieser
Beziehung viel liberaler, daher seien die militärischen Zustände dort besser.
Aber die Unterdrückungsversuche nützten nichts, wie die Schriften der Bilse,
Beyerlein, Baudissin u. a. bewiesen, die den Luxus, die Sittenlosigkeit des
Offizierkorps, die kostspieligen unsinnigen Manöver und den geistlosen
Paradedrill geißelten. Diese Armee gehe einem neuen Jena entgegen.
Preuß. Kriegsminister v. Einem stellt einige von Bebel angeführten Einzel-
fälle richtig. An der Beseitigung der Mißhandlungen arbeite die Ver-
waltung schon lange, die Sozialdemokratie habe nichts für die Verminderung
getan, sie erschwere sie vielmehr durch die Verhetzung der Soldaten. Die
Kritik werde nicht unterbunden, sie sei sogar notwendig zum Gedeihen
der Armee. Ausführungen freilich wie die des Obersten Gädke im „Berl.
Tagebl.“ und des Grafen Baudissin seien nicht ernst zu nehmen, ebenso-
wenig die Angriffe des „Simplizissimus“ auf den Offizierstand, die eine
Verzerrung darstellten. In Frankreich gebe es für die Generale eine ge-
ringere Freiheit der Kritik als in Deutschland. Ueber die sozialdemokra-
tischen Soldaten sagt der Redner: Ich halte es für ganz natürlich, daß
der Abg. Bebel als Führer einer so gewaltigen Partei ausspricht, daß das
Sozialdemokratsein schon eine ganz bedeutende Intelligenz bewirkt (Heiter-
keit), und daß infolgedessen die Soldaten, die Sozialdemokraten sind, die
besten werden. Wenn aber Zeiten kommen, wo nicht bloß die Intelligenz
ausreicht, sondern wo es darauf ankommt, wie es im Herzen aussieht (leb-
hafte Zustimmung bei der Mehrheit des Hauses), was mache ich dann mit
dem Zukunftstaatssoldaten, wenn er sagen würde: „Nun will ich nicht
mehr!“ Mir ist ein auf königstreuer und religiöser Grundlage fußender
Soldat lieber, wenn er auch ein paar Ringe weniger schießt wie ein Sozial-
demokrat. (Große Erregung bei den Sozialdemokraten; Zustimmung bei
den übrigen Parteien.) Wie es mit der Intelligenz der Sozialdemokraten
in militärischen Dingen aussieht, das hat mich ein Inserat gelehrt, das
in einem Blatt kurz vor den Wahlen stand: „Wählt den Vizefeldwebel M.,
der ist ein Feldwebel der Reserve, also geeignet, im Falle eines Krieges
ein Bataillon zu führen!“ (Heiterkeit.) Wenn ein Bataillon zu führen
so leicht wäre, dann würde ich allerdings meinen, wir schaffen das stehende
Heer ab und gehen zur Miliz über. Bei der Beförderung von Unter-
offizieren werden wir möglichst darauf sehen, daß sich mit der Intelligenz
Charakterfestigkeit, Königstreue und Vaterlandsliebe verbindet. Damit folgen
wir dem berühmten Beispiel der linken Seite, wo alles, was nicht wasch-
echt ist, ob intelligent oder nicht, munter hinausfliegt. (Große Heiterkeit
und dauernde Unruhe.) Wenn der Abg. Bebel sagt, die Beförderungen
seien nur abhängig vom Paradedrill, so kann ich ihm erwidern, daß die
Brigade-, Regiments- und Bataillonsbesichtigungen anfangen, ohne an den
Parademarsch zu denken. Der Abg. Bebel weiß in diesen Dingen nicht
Bescheid; er ist auch heute noch so unschuldig wie ein Kind in dieser Be-
ziehung. Der Abg. Bebel verlas dann die Herzensbekümmernisse einzelner
Schriftsteller, die uns auf dem Wege nach Jena sahen. Es existiert, glaube
ich, ein Buch „Jena oder Sedan“ (Zuruf Bebels: Roman!), jawohl, ich
halte überhaupt die ganze Sache für romanhaft. Was ist denn Jena?
Jena ist eine Schlacht, welche die preußische Armee verloren hat, nicht
schlimmer wie manche andere. Die Ehre der Armee blieb auf diesem
Schlachtfelde intakt. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Der Zusammen-
bruch des Staates kam später! Es waren die schmachvollen Kapitulationen
der Festungen durch die (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Junker!) älteren
Offiziere, die glaubten, nicht mehr Widerstand leisten zu können. Der Zu-
sammenbruch des Staates ist erfolgt, weil die kosmopolitisch angehauchte