50 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 14./15.)
Mitte März. (Oldenburg.) Regelung der künftigen Thron-
folge. (Vgl. Rußland.)
Nach einem Beschluß des Landtags soll die Regierung aller Teile
des Großherzogtums im Falle des Aussterbens der jetzt herrschenden Linie
an die Familie Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg übergehen. —
Der Chef der Glücksburger Linie ist Herzog Friedrich Ferdinand, auf den
das russische Kaiserhaus seine eventuellen Erbrechte übertragen hat.
Gegen den Beschluß protestiert Herzog Ernst Günther zu Schleswig-
Holstein-Sonderburg--Augustenburg, der Bruder der Deutschen Kaiserin,
weil er den gültigen Familienverträgen innerhalb des Gesamthauses Olden-
burg, dessen ältester Zweig zur Zeit die Linie Augustenburg ist, wider-
spreche. — Die oldenburgische Regierung erkennt das augustenburgische
Erbrecht nicht an.
14. März. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in
Lüneburg erhält Dr. Jänecke (nl.) 7177 (1903 6782), v. Wangen-
heim (Welfe) 9029 (7194), Fischer (Soz.) 3908 (5564), Dobberkau
(Bd. d. L.) 2769 (3005) Stimmen. In der Stichwahl (24. März)
erhält Wangenheim 11 689, Jänecke 10 211 Stimmen.
14./15. März. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) Kon-
flikt Asch-Pichler.
Im November vorigen Jahres hat Abg. Dr. Pichler (Z.) dem
Kriegsminister Frhrn. v. Asch einen an ihn gerichteten Brief eines Ein-
jährig-Freiwilligen Eras übergeben, in dem Eras über schlechte Behand-
lung durch Vorgesetzte klagt und behauptet, trotz körperlicher Gebrechen
widerrechtlich beim Militär zurückbehalten zu werden. Der Kriegsminister
ordnet daraufhin eine Untersuchung an, die die Haltlosigkeit der Behaup-
tungen von Eras ergibt; Eras wird deshalb wegen falscher Beschuldigung
von Vorgesetzten bestraft. Abg. Pichler spricht hierauf dem Kriegsminister
sein Befremden aus, daß er eine Untersuchung gegen Eras angeordnet
habe, da er dem Minister den Brief nur vertraulich übergeben habe. Die
Zentrumspresse greift den Minister scharf an, er habe einen Vertrauens-
bruch begangen. Die liberale Presse gibt im allgemeinen dem Minister
recht. In der Zentrumspresse wird behauptet, solche durch Abgeordnete
übermittelte Beschwerden seien bisher vertraulich außerdienstlich erledigt
worden.
In der Untersuchung gegen Eras, in der Abg. Pichler vorgeladen
wird, bezeichnet er das Verhalten des Ministers als Indiskretion und be-
hauptet, der Minister habe bereits einen viel schwereren Fall als den vor-
liegenden vertraulich erledigt, daher habe er auch hier auf Diskretion
rechnen dürfen. Auf die Anfrage, was für ein Fall das sei, verweigert
er die Auskunft, da ihm ein Abgeordneter vertraulich davon Mitteilung
gemacht habe.
Kriegsminister v. Asch erklärt am 14. März in der Kammer unter
scharfen Angriffen gegen das Verhalten des Abg. Pichler, er habe Straf-
antrag gegen ihn gestellt wegen der Angriffe auf seine Ehre durch die
Aeußerungen während der Untersuchung. In dieser Verhandlung werde
Pichler auch über den anderen angeblichen Fall Auskunft geben müssen.
Am 15. März wiederholt Abg. Pichler den Vorwurf des Ver-
trauensbruches und Abg. Daller stellt dem Minister im Namen des
Zentrums ein Mißtrauensvotum aus; er erklärt, daß seine Freunde in