226 Das Veische Reich und seine einjelnuen Slieder. (Dezember 14.)
handelt sich aber nicht bloß um Südwestafrika. Wie wir dort durchhalten,
ob wir mit zäher Opferwilligkeit vorwärts gehen, oder nach kaum erreichter
Beseitigung der größten Gefahren wieder ermatten, ist bei der heutigen
politischen Gesamtlage uns selbst und unseren Mitbewerbern im überseeischen
Wettkampfe zum Prüfstein dafür geworden, ob Deutschland überhaupt der
Entwicklung aus einem europäischen Großstaat zur Weltmacht fähig ist.
Unter unseren Augen vollzieht sich von verschiedenen Seiten her kraftvolles
Ausgreifen auf von der Kultur noch nicht erschlossenen Gebieten. Wir
erleben als Zeitgenossen den Aufschwung des britischen, amerikanischen und
japanischen Imperialismus. Frankreich gründet ohne Zaudern und Knau-
sern ein riesiges Kolonialreich in Afrika, und Deutschland sollte nicht ein-
mal in energischer Behauptung und Verwertung des Erworbenen Schritt
halten dürfen? Für die verbündeten Regierungen und für den Reichs-
kanzler gab es in dieser Frage kein paktieren. Ehe die Mehrheit des Reichs-
tages den ablehnenden Beschluß faßte, gegen die Minderheit, in der die
Rechte, die Nationalliberalen und die bürgerliche Linke zusammen standen,
machte Fürst Bülow noch einmal das Haus auf die schweren Konsequenzen
aufmerksam. Freimütig und fest erklärte er, daß nicht ein Kampf zwischen
parlamentarischem und persönlichem Willen geführt werde, sondern eine
selbstverständliche Pflicht den verbündeten Regierungen nur einen einfachen
und geraden Weg weise. Niemand drängt mich! Niemand schiebt mich!
und wenn Sie wollen, so haben Sie die Krisis! Trotz des Ernstes dieser
Aussprache blieb die aus dem Zentrum und der Sozialdemokratie bestehende
Mehrheit in dieser, dem deutschen Volke an Herz und Ehre gehenden Sache
bei ihrer kleinmütigen Ablehnung. Die Nation hat zu entscheiden, ob sie
sich eine solche Vertretung ihrer Interessen und ihres Ansehens gefallen
lassen wird."“
Aehnliche Kundgebungen veröffentlichen der „Staatsanzeiger für
Fairitemberg“ die „Süddeutsche Reichskorrespondenz“, die „Karlsruher
eitung“.
14. Dezember. Angebliche Enthüllung über die Beziehungen
zwischen dem Kaiser, dem Papst und dem Zentrum.
Die „Nationalzeitung" teilt aus dem nicht veröffentlichten Teile der
Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe folgendes Faktum
mit: „Eine Tagebuchnotiz Hohenlohes stellt im Zusammenhang mit den
Aufzeichnungen über die Militärvorlage des Jahres 1893 fest, daß Papst
Leo XIII. vom Kaiser Wilhelm ein Geldgeschenk in der Höhe von 500000
Francs wünschte. Fürst Hohenlohe sei um seine Ansicht gefragt worden
und habe sich damit einverstanden erklärt, daß das Geldgeschenk gewährt
werde, habe indessen geraten, dem Papst das Geldgeschenk erst zu geben,
nachdem die Militärvorlage angenommen sei, es aber sofort in Aussicht
zu stellen. Vorläufig solle General v. Los dem Papste einen Edelstein
überreichen.“
Diese Notiz wird in der Presse lebhaft besprochen, aber niemand
vermag anzugeben, ob sie auf Wahrheit beruht. Die „Germania“ be-
hauptet, daß die Regierung 1893 versucht habe, durch den Papst auf das
Zentrum einzuwirken, das Zentrum habe aber seine Selbständigkeit wie
1887 gewahrt. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ stellt fest, daß bei
Durchsicht des amtlichen Personals und bei Befragung maßgebender Per-
sönlichkeiten „sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür hat auffinden
lassen, daß dem Papst Leo XIII. unter den angegebenen Umständen von
Deutschland eine Geldsumme angeboten oder zugewendet worden ist. Auch
über die angebliche Aeußerung eines dahingehenden päpstlichen Wunsches