Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

372 Rußland. (März Mitte—Ende.) 
März. Der Minister des Innern Durnowo verhindert viele 
Wahlversammlungen der konstitutionell-demokratischen Partei und 
verschickt viele ihrer Kandidaten auf dem Verwaltungswege nach 
Jakutsk. Offiziös protestiert Graf Witte im „Russkoje Gossudarstwo“ 
dagegen. 
Mitte März. In vielen Gouvernements, die eine Mißernte 
gehabt haben, herrscht Hungersnot und Viehsterben. 
18.30. März. Die Urwahlen zur Reichsduma verlaufen im 
allgemeinen ruhig und unter geringer Beteiligung. Die Sozial- 
demokraten vereiteln vielfach die Beteiligung der Arbeiter. 
März. In vielen Städten finden überfälle auf einzelne 
Personen, Banken u. s. w. statt. In Moskau raubt am hellen Tage 
eine Bande von 20 Bewaffneten einer Bank 850000 Rubel. 
19. März. (Otschakow.) Leutnant Schmidt, der Haupt- 
führer der Rebellion in der Schwarzen Meerflotte, wird erschossen. 
Während des sich lange hinziehenden Prozesses fordern Matrosen- 
versammlungen seine Begnadigung. 
Ende März. (Petersburg.) Über Verluste während der 
Revolution und Entschädigung wird mitgeteilt: 
Der Reichsrat hat das von einer Spezialkommission unter dem 
Vorsitz des Grafen Ssolski ausgearbeitete Projekt betreffend die Gewährung 
staatlicher Entschädigungen für das während der revolutionären Bewegung 
zerstörte Eigentum einer Prüfung unterzogen. Es wurde dabei festgestellt, 
daß insgesamt 1850 Gutshöfe zerstört wurden und daß außerdem zahl- 
reiche Dampfschiffs-- und Transportunternehmungen sowie viele Hausbesitzer, 
Kaufleute, Stadt= und Landbewohner mehr oder minder erhebliche Ver- 
luste erlitten haben. Die Frage, ob die Regierung gesetzlich verpflichtet 
sei, den gesamten angerichteten Materialschaden zu ersetzen, wurde vom 
Reichsrat verneint, da eine Ersatzpflicht nur auf seiten der Zerstörer be- 
stehe. Auch die Gesetzgebung anderer Länder vertrete diesen Standpunkt; 
so habe beispielsweise die französische Regierung keine Entschädigungen für 
den durch die Kommune angerichteten Schaden geleistet. Dagegen kon- 
statierte der Reichsrat wohl das Vorhandensein einer moralischen Pflicht 
zur Entschädigung, um so mehr, als auch das allgemeinestaatliche Interesse 
dabei in Betracht kommt. Es wurde aber geltend gemacht, daß diese Frage 
nur in engem Zusammenhang mit den in der Staatskasse vorhandenen 
Mitteln entschieden werden könne, und tatsächlich seien nur 8 Millionen 
Rubel disponibel zu machen. Im Interesse der staatlichen Wohlfahrt müsse 
diese Summe in erster Linie zur Entschädigung der Landwirte, ohne Unter- 
schied des Standes, verwandt werden. Der von diesen angemeldete Schaden 
belaufe sich auf 44 Millionen Rubel; indes werde angenommen, daß sich 
bei sorgfältiger Kontrolle der effektive Schaden auf nur 18 Millionen werde 
feststellen lassen. Zur Unterstützung der so geschädigten Landwirte — die 
übrigen Bevölkerungsklassen müssen wohl oder übel unberücksichtigt bleiben 
— sollen nun nach dem Antrage der Ssolskischen Kommission die über- 
haupt verfügbaren Mittel verwendet werden. Bezüglich der Art ihrer Ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.